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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Deutschland redete, wohl aber über die Leute in Jerichow, Gneez, Schwerin, die bisher Papenbrocks Wünschen das gute Ohr hingehalten hatten (das war Papenbrocks Vorstellung von Takt. Er wollte Cresspahl nicht stören beim Überlegen, sondern helfen). Es ging Cresspahl gegen den Strich, wie der Alte seinen Sohn, sein jüngstes Ei beobachtete, auf eine trübe und krählustige Weise, als strenger und nachgiebiger Vater, immer noch nicht entschieden, ob Horsts Verwandtschaft mit der neuen Macht gut war für das Geschäft oder mißlich, im Grunde aber bedenkenlos bereit für den einen wie den anderen Entschluß. Horst wollte von seinem Vater vorerst nichts als einen Lastwagen, aber bevor Papenbrock seinen Firmennamen an die S. A. auslieh, wollte er noch einmal erklärt haben, was die nationale Erneuerung damit zu schaffen hatte, wieder und wieder. Papenbrock bestellte sich bei Horst mit Vorliebe jene Stellen des Naziprogramms, die den Kaufhäusern und Großgrundbesitzern drohten, und unter seinen amüsierten Blicken, in Horsts verlegenem Aufsagen nahm die Zukunft der Nazis sich unwirklich aus, zumindest nicht gefährlich. Was im Grunde nicht ging war daß Papenbrock gern im Einzelnen erfahren hätte, wie denn nun Cresspahl sein Konto bei der Surrey Bank of Richmond so hoch aufgefüllt hatte, und ob Lisbeths Zahlen von 1931 überhaupt gestimmt hatten. Das ging nicht. Es war erheiternd zu beobachten, wie Papenbrock die Verschlagenheit seiner Geschäfte auch gegen die Familie bewies, so wenn er sich undeutlich ausließ über Schusterstöchter und doch nicht zugab, daß er von Horsts Fräulein Lieplow je gehört hatte, so daß Horst einen gerade eben noch gehorsamen, verdrossenen Blick zurückgab, wie jemand, der unverhofft auf ein Hindernis gestoßen ist. Es hatte Papenbrock schon Spaß gemacht, dem verschollenen Sohn den Willen zu verlegen; mochte der Spaß bei diesem weniger handfest sein. Hingegen von seinen Töchtern hatte er sich jedes Mal »die Butter vom Brot nehmen lassen«. Die Töchter sollten es leicht haben, ihn zu mögen. Das ging. Sonst ging es mit Papenbrock.
    Gut ging es mit Hilde. Hilde Paepcke hatte ihren Alexander in Krakow allein gelassen in seinen Streitereien mit der Brandversicherung, die die Hindenburglichter nicht vergessen mochte; Hilde wollte Lisbeths Kind sehen, sie wollte dem Kind Pate stehen, sie wollte nach Hause. Hilde war schwanger. Sie wollte noch Kinder haben, ehe Alexander sich ganz und gar durch den Boden des Bürgertums gescheuert hatte; sie wollte etwas »aus der Konkursmasse retten«. So ließ sie sich gegen Cresspahl vernehmen, wenn sie mit ihm in Rande promenierte, Arm in Arm, in ganz plötzlicher, nie beredeter Vertraulichkeit. Als Cresspahl endlich wahrnahm, daß sie nicht aus Versehen ihn Brust und Hüften spüren ließ, einigten sie sich in einem ganz unverhohlenen, vergnügten Seitenblick, und Hilde sagte übermütig, ohne jede Trauer: Dascha nu bannig schåde. - Was ein nich allns verpaßt: sagte Cresspahl. Hilde und ihren Alexander lud er aus freien Stücken zu einem Besuch in Richmond ein.
    Immer noch nicht mochte er bedauern, daß er sich gesträubt hatte, Louise Papenbrock nach England zu holen, obwohl dann Lisbeth zu Hause geblieben wäre und das Kind geboren, wo es leben sollte. Louise Papenbrock in seinem Haus, es wäre nicht ohne Zank abgegangen. In Jerichow hatte er wenigstens nicht das Recht ihr zu widersprechen. Denn Papenbrock mochte sich noch so unschuldig als Vorstand seines Haushalts begreifen, es war Louise, die ihn lenkte, den Alten an langer Leine, die Kinder an kurzer. Die Kümmelflasche, die Papenbrock in großer Heimlichkeit leertrank, wechselte Louise gegen eine neue aus. Wieviel das Haus Papenbrock der Kirche spendete, bestimmte Louise, und sie ließ den neuen Pastor Brüshaver spüren, daß sie seinen Mangel an Innigkeit beim Predigen mißbilligte. Auf den Tisch kam, was sie für gut hielt, und beten tat sie so lange wie ihr danach war. Sie hatte Cresspahl in Lisbeths altem Zimmer, weit weg von Lisbeth und dem Kind, ein Bett bereiten lassen, hinten auf dem zweiten Flur, ohne ihn je nach seinen Wünschen zu fragen. Und Louise hatte den Haushalt vollständig umgestellt auf die Geburt, alle ihre Vorkehrungen zogen einen Zaun um Lisbeth, den Cresspahl nicht etwa mit Erlaubnis, sondern auf Anweisung zu übersteigen hatte. Ihm waren sogar Beschwerden versagt, denn Louise Papenbrock hatte mit ihren Wärmflaschen und überheizten Öfen schon vier Kinder auf

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