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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Cresspahl, Richmond/London, für den Fall seiner Rückkehr zur deutschen Reichsregierung im April 1933 gemacht wurden.
    Mrs. Jones kam ungebeten aus Brixton herüber und bot sich an, den Haushalt zu übernehmen, zumindest bis sie herausgefunden hätte, warum die junge Frau Cresspahl nicht mit ihrem Mann gekommen war. Cresspahl verabschiedete sich von ihr und gab ihr ein Pfund so nackt in die Hand, daß sie tatsächlich nicht wiederkam. Er ging einmal in der Woche mit einem Besen durch die Zimmer. Wo der Besen nicht hinlangte, in den Gardinen, in den Polstern, setzte der Staub sich an und machte sich fest mit Ruß. Cresspahl war manchmal zufrieden mit dem Gedanken, daß er das alles zerhacken könne. Auch die Scheiben, die er an Stelle der zerschmissenen eingesetzt hatte, zeigten schon Streifen; er hatte nicht einmal seine kittigen Fingerabdrücke abgewischt. Mittags aß Cresspahl mit Mr. Smith in der Küche, Sandwiches aus einem Pub, mit Bier für Mr. Smith, Wasser für Cresspahl. Mr. Smith war in seinen jüngeren Jahren zur See gefahren, und einmal hatte die Besatzung ihn gezwungen, für einen unfähigen Koch einzuspringen. Er berief sich darauf, daß er diese Reise überlebt hatte, und versuchte sich mitunter an Eiern und Speck. Aber er hatte nicht gelernt, Pfannen und Töpfe sauberzumachen, und als kein unbenutztes Gefäß mehr übrig war, gab er das Kochen auf. Es kam vor, daß Cresspahl ihn abends zurückhielt, er sagte zum Essen, er hatte aber Gin auf dem Küchentisch. Mit einem Viertelliter im Bauch wußte Mr. Smith nichts mehr von seiner Verlegenheit, und fing an zu erzählen. Von Perceval sprach er beständig als T. P. T. P. habe im Grunde mehr von dem Kind des Meisters gesprochen als von der Frau. - So ne jungn Leute wollen ne Familie: sagte Mr. Smith so deutlich und langsam, daß Cresspahl bemerkte, wie oft es in seinen Gedanken vorgekommen war. Mitunter dachte Cresspahl daran, ihm eins von den leeren Zimmern anzubieten. Aber Mr. Smith brauchte keine Familie und erhob sich gegen zehn, wenn noch ein Anstandsrest in der Flasche war. Ihm war wenig anzumerken, nur daß er um diese Zeit alles aussprechen mußte, was er zu tun vorhatte. - Werd ich wohl gehen: sagte er. - Müßte gegangen sein: sagte er. Dann ging er. An der Tür sagte er: Brille. Dann schob er sich das blinde Krankenkassengestell zurecht in seinem kleinen ausgedörrten Gesicht. Noch auf der Treppe hörte Cresspahl ihn reden, und es kam vor, daß er für sich wiederholte: In Ordnung, Mr. Smith.
    Im Mai entgalt die deutsche Reichsregierung die Geldspenden der deutschen Industriellen an Herrn Hitler mit einigen Sachleistungen. Sie ließ den Tag der Gewerkschaften als »Tag der nationalen Arbeit« feiern. Am 2. Mai besetzte sie die Häuser der Gewerkschaften. Am 10. Mai überführte sie die erbeuteten Gelder in ihre eigene Gründung, ein Ding namens »Deutsche Arbeitsfront«. Die Kommunisten waren abserviert; nun sollten die Sozialdemokraten ihr Fett bekommen. Sie hatten als einzige Partei nicht für Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt. Nun half ihnen nicht mehr, daß sie am 19. Mai noch schnell die Außenpolitik der deutschen Reichsregierung billigten. Am 10. Juni waren ihre Büros besetzt worden, am 22. Juni wurde ihre Partei verboten. So macht man das. Dies waren einige der Vorschläge, die die deutsche Reichsregierung Herrn Heinrich Cresspahl, Richmond/England, für den Fall seiner Rückkehr im Mai 1933 machte.
    Im Mai bestellte Cresspahl sich Albert A. Gosling, Esq., in die Werkstatt. Er gab sich alle Mühe, Gosling in einen Streit zu locken. Er stieß ihn geradezu mit der Nase auf die spärlichen Eintragungen im Auftragsbuch; im Mai hatte er schon nichts mehr angenommen. Der kleine Gosling mit den großzügigen Gebärden freute sich, den Verlust über Percevals eingesparten Lohn wieder hereinzubekommen; Gosling als Geschäftsmann. Sogar Mr. Smith in seinen morgendlichen Kopfschmerzen wurde von einer heiteren Grimasse überfallen und vertauschte den Hobel mit einem ganz feinen Raspel, um schärfer zuhören zu können. Cresspahl wies Gosling auf die Reisekisten hin, die er eigens neben der Tür aufgebaut hatte. Er sagte ihm nicht, daß die gründlich und aufwendig gearbeiteten Behältnisse für Lisbeths Gut bestimmt waren; er nannte ihm unverschämte Abzüge am Preis dieser Anfertigung; Eigenbedarf des Meisters. Gosling gefielen die Kisten. Er bestellte eine für sich, aber aus rotem Holz und mit Beschlägen und Griffen aus Messing.

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