Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
hier und drüben bei Hilde kommen würde! Sie kam aber, um ihre frommen Sprüche zu verbreiten. Für all und jedes Unrecht wußte sie einen biblischen Befehl zur Geduld und eine kommende Richtigstellung durch das gerechte Wirken Gottes. Nach solchen Belehrungen war Lisbeth gefaßt in eine Sicherheit, so still fröhlich, daß ihr nicht zu trauen war; und es hielt nicht an. Es half ihr nur, ihm nicht zuzuhören, wenn er ihr den Namen dessen sagte, der eine von Lisbeths »Ungerechtigkeiten« angestellt hatte, und die ungefähre Verdienstspanne. Aber hier ließ Papenbrock seiner Frau jeden Willen.
Er wünschte sich, Schwager Paepcke werde keinen Unfug anstellen mit seiner Ziegeleipacht. Ein umgänglicher Mann, ein gut erträglicher Nachbar, aber kein Geschäftsmann. Seine Bücher waren in einem Zustand, es konnte einem angst und bange werden. Sicherlich konnte man Spaß daran haben, wie Alexander seine Familie manchmal schon nach dem Mittagessen auf dem Gartenrasen versammelte und den lieben langen Nachmittag auf den Abend wartete, mit Kaffeetrinken unter bunten Sonnenschirmen, dann mit Mosel. Der konnte spielen mit seinem Kind, so viel Zeit hatte Cresspahl noch gar nicht gehabt. Und die Ziegeleiarbeiter brauchten nur ans Tor zu treten, da konnten sie auf der anderen Seite der Straße sehen, wie ihr Chef den lieben Gott einen guten Mann sein ließ. Da war Alexander gar nicht empfindlich. Und er fuhr nach Gneez zu gar nichts als zum Tennisspielen. Und wenn Cresspahl ihm einen neuen Fahnenmast herrichtete, wollte er dafür bezahlen. In der Verwandtschaft war es richtig, Geld anzubieten, nicht aber, auf dem Bezahlen zu bestehen. Alexander hätte das Geld sparen sollen. Darauf kam der nicht. Es war angenehm, den beiden zuzusehen, wie sie lebten, so unbefangen wie Kinder; es war unheimlich, daß die schon jetzt vergessen hatten, mit welch genauer Not sie durch Papenbrock gerettet worden waren. Cresspahl wünschte sich also, die Ziegelei möge nicht unverhofft abbrennen.
Er wünschte, die Leute in Jerichow würden ihm mit Worten sagen, was sie von ihm wollten, nicht mit Steinen in die Werkstattfenster.
Er wünschte, daß Dora und Arthur sich besinnen möchten und außer Landes gehen. Er war nun fast befreundet mit dem Mann, so weit es eben gehen konnte mit einem Studierten, und wenn der kein Mecklenburger war, war er selber nicht aus Malchow am See. Er wünschte ihn nicht weg. Er sollte nur zu den Leuten gehen, die nichts gegen ihn hatten und ihm Arbeit gaben. Es war nicht gut anzusehen, wie Semig ohne Arbeit zusammenschnurrte, wie zacher Weizen. Und Dora wurde immer stiller und sich selbst nur ähnlich, wenn sie die Gesine im Arm hatte. Er wünschte, sie wären in Sicherheit. Er konnte ihnen das nicht sagen.
Er wünschte, daß er nicht recht hatte mit dem Krieg, den er fürchtete.
Er wünschte sich drei Kinder mehr, wie mit Lisbeth verabredet.
Er wünschte, daß die Kinder alle lebten, bis er starb.
Er wünschte Sicherheit für die Familie vor wirtschaftlicher Not, vor politischer Gefahr, vor Feuer und Blitzschlag.
Und deshalb ging er Anfang Juni 1934 aufs Rathaus von Jerichow und ließ sich von Friedrich Jansen einen Aufnahmeantrag für die Nazipartei geben.
Und einen Tag später lief ihm Avenarius Kollmorgen am Frachtschalter der Eisenbahn in den Weg, zog sich Faltenbögen in die Stirn wie die Katze Buckel macht und nickte mit tiefer Bedeutung und sagte mit dem Lächeln, das er für fein hielt: Gut bei Sach, Hä Cresspahl? Gut bei Sach?
7. Dezember, 1967 Donnerstag
Wenn man nach Jerichow nicht darf, muß der Traum einem Verwandte in Wismar lügen, und der Traum muß der Paßbehörde eine von vielem Regen ausgelaugte Holztreppe anlügen in einem Hof mit wildem Wein an den Wänden. Wer diesen Hof kennt, ist da verwandt. Dann macht es nichts mehr, daß das Verlassen des Kreises Wismar nicht gestattet ist. Man fährt einfach mit irgend einem Toten. Am besten wäre da Pius Pagenkopf: als der lebte, war er General der sowjetischen Luftwaffe und fuhr einen alten Studebaker aus dem Pacht- und Leihabkommen mit den U. S. A. In einem alten Studebaker über Jerichows Stadtstraße fahren: da bleiben ja die Leute stehen und schütteln sich die Köpfe. Da kann man sich nur noch rasch auf den Friedhof retten. Auf dem Friedhof findet mich Keiner.
Also ab. Der Bus von Rostock nach Barth ist ganz leer, aber ich bin die Strecke nie gefahren, und jetzt geht es richtig nach Newark durch den Tunnel unter dem Hudson. Auf dem
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