Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Zelle, so daß der Ausgang gleich versperrt war. Die Hände hielt er an dem Gefährt wie an einer Bahre für Kranke oder Tote.
– Ich flehe Sie an -! wer immer Sie sind!
Er erschrak ein wenig, hatte den Job noch nicht lange, war zu wenig vertraut mit dem Umgangston innerhalb der Bank. Von seinem Auftrag ließ er sich nicht abhalten. Er bog sich halb zurück, hinter die linke Seite der Tür, zog das kunststoffene Schild aus der Schiene und hielt es mir entgegen zwar nicht wie ein Arzt, doch wie ein Krankenpfleger, der genug Fälle gesehen hat und sich auskennt. Mrs. Cresspahl fühlte sich nicken, und er warf meinen Namen leichthin in einen der Behälter, die er auf dem oberen Deck seiner Karre aufgebaut hatte. Weg war er.
– Es sagt hier so auf dem Papier: stellte der junge Mann gleichmütig fest, wie ein Scharfrichter, der sich die Anstellerei verbittet. Er hatte seinem Puertorikanisch die lakonischen Redeformen der Westernfilme aufgepreßt, und die gewalttätigen Verkürzungen nahmen sich fremd aus zu seiner dunklen Haut, der der Verlierer, zu seiner zutraulichen Miene, der das Einschmeicheln seit langem eingeübt war. Er schien auch schüchtern, überfordert von der Unerbittlichkeit, zu der seine Prüfliste ihn anhielt. Die Liste hatte an jedes Stück des Inventars gedacht, von der Rechenmaschine bis zum Aschenbecher, auch für die persönlichen Effekten war ein Behälter mitgeschickt. Das war die einzige Position, auf der die Liste eine Niederlage erlitt. Denn Mrs. Cresspahl mußte nur einen schmalen Papierstreifen vom Fuß des Wechselkalenders nehmen, der paßt in die kleinste Tasche eines Kostüms. Das hatte der junge Packer noch nicht erlebt, und es verwirrte ihn. Der Name neben der Tür war das einzig Persönliche gewesen. Er hätte am liebsten um eine Erklärung gebeten, besann sich aber auf seinen Vorgesetzten und nahm den Raum in kaum mehr als zwanzig Minuten auseinander. Dann glänzten die Fächer des Stahlschranks und die Bücherregale leer, die Korktafel war abgeräumt, die Stühle zwischen den nackten Arbeitsflächen wie in einem Schaufenster ausgestellt, die Schlüssel baumelten noch ein wenig, dann war die Zelle frei und fertig für den nächsten.
Der Junge hatte sich zum Abschied bedankt. - Es gibt Kandidaten, die machen es einem unnötig schwer: hatte er gesagt. Mit dem hoch beladenen Wagen zog er ab wie mit einem Sarg ohne Gefolge.
Das alte Büro war verloren. Das neue war in der Fremde. Ohne Raum, ohne Gerät zum Arbeiten, da war kein Bleibensrecht erhalten.
Die Angestellte Cresspahl saß vor dem Büro, das eben noch das ihre gewesen war; saß aber neben Amanda, die keifend und genußvoll im Hause umhertelefonierte, geradezu entzückt, daß wieder einmal eine Aktion durch Überorganisation zusammengebrochen war. - Die Gesellschaft müßte längst kaputt sein! sagte sie. - Du gehst dem Jungen nicht hinterher, du bist eine Lady! - Ich bin empört im Namen von Mrs. Cresspahl! schrie sie in ihr Telefon und hatte nach weniger als einer Viertelstunde heraus, daß die Hausmitteilung seit gestern morgen im Vorzimmer der Personalabteilung lag, wo sie die Entscheidungsfreudigkeit einer Sekretärin ganz erheblich beeinträchtigte, und schließlich meldete sich bei ihr der Personalchef in eigener Person, Mr. Kennicott II . Immer wenn er sprach, legte Amanda die Hand über ihre Sprechmuschel und signalisierte den neuesten Stand des Gefechts. Er schwankt: sagte sie. - Er ist weich! - Er ist klein: schloß sie ab, denn sie hatte gesiegt. Die Aufregung hatte ihr wohlgetan. Sie sprach nun mit ganz tiefer Stimme, fühlte sich angenehm durchblutet, schob genußvoll mit beiden Händen ihre schwarzen Haarwolken zurecht. Nun hatte sie den Streit vom Freitag zu Gunsten ihres Kontos abgegolten, nun konnte sie sagen: Du wirst mir fehlen, Mrs. Cresspahl.
– Du mir auch: sagt Mrs. Cresspahl lahm.
– Nimm es nicht persönlich, beim blutigen Jesus! sagte Amanda, und das verlangte auch Mr. Kennicott II , der die Angestellte Cresspahl in der Abteilung Foreign Sales abholte und ihr auf dem Weg zum neuen Office geschickt und unlogisch darlegte, daß eine Initiative, einmal in drei gleichzeitige Schritte aufgespleißt, stehe und falle mit dem geplant ungleichmäßigen oder gleichmäßigen Fluß der Information, alles mit seinen höchsteigenen sehr betroffenen Entschuldigungen. Als ihm nichts mehr einfiel, erkundigte er sich nach der Herkunft des Namens Cresspahl und kam zu sprechen auf einen seiner Onkel, deutscher
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