Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
unehelich. Dafür war doch besser Steuer zahlen als für - dor kümmt ein. Ach, das is bloß Cresspahl. Klattenpüker Cresspahl. Nimmt seine Frau mit, wenn er ein Bier trinken geht. Nächstens kommt dann die eigene Frau und will auch solche englischen Sitten. Nun kann man mit ihm gar nicht reden über uneheliche Kinder und dergleichen. Geht bei uns’ Lisbeth nicht an.
Am 27. Oktober starb Ernst Barlach, Bildhauer, Zeichner, Dramatiker. Weil er für einen Juden gehalten wurde, war er in Güstrow auf der Straße angespuckt worden. Den hatten sie mit Verboten von Arbeit und Ausstellungen gehetzt, bis er sich hinlegte und starb. Die Lübecker hatten einen Alfred Rosenberg zu ihrem Ehrenbürger gemacht; aber die Figuren Barlachs hatten sie nicht an ihre Katharinenkirche getan. Der Lübecker General-Anzeiger hatte zu seinem Tode nicht von sich aus etwas drucken mögen, sondern lieber aus dem Berliner Tageblatt abgeschrieben, er sei ein Problem geblieben für ein Geschlecht, das andere Wege gegangen sei. Lisbeth konnte lange daran rätseln: Der Dichter habe mehr um als mit Gott gerungen.
Mit Gott, es ist doch gar nicht erlaubt.
Ja, Lisbeth.
Um Gott; so soll es doch sein.
Ja, Lisbeth.
Wenn du in Güstrow wierst, hest du em seihn?
Ne, Lisbeth. Büntzel kenn ick. Friedrich Büntzel, Lisbeth, der versteht was von Holz. Von dem hat dieser Barlach Rat angenommen. Aber erst mußte er von einem Block sagen: Der reißt; und Barlach: Der reißt nicht.
Dann riß er.
Und dann hörte Barlach auf Tischlermeister Büntzel.
Hättst du auch gewußt.
Nich mehr, Lisbeth.
Heinrich, es ist eine schlimme Zeit zum Sterben. Wenn es August wäre. Wenn die Erde leicht ist.
Ja, Lisbeth.
13. Februar, 1968 Dienstag
Der sowjetische Schriftstellerverband hat Alexander I. Solshenyzin verglichen mit der einzigen Tochter von Jossif W. Stalin.
Und mit wem verglich sich Präsident Johnson an Lincolns Geburtstag? Mit Abraham Lincoln.
Auch die New York Times weiß einen Vergleich, nachdem die Arbeiter der Stadtreinigung begonnen haben, den Abfall zweier Wochen von den Straßen zu räumen: Dieses Mal sei die Stadt Saigon gewesen und die Krise die Zertrümmerung der Stadt durch die Viet Cong zu Anfang des Monats. Sie meint die new yorker Müllkrise. Sie meint die Verluste an Menschenleben in Viet Nam. Sie vergleicht.
An diesem Tage wurde die Angestellte Cresspahl umgetopft wie ein Gewächs, umgepackt wie Stückgut, umgesetzt wie eine Werkbank.
Der neue Topf, der neue Lagerraum, die neue Maschinenhalle, das neue Büro, geräumiger ist es. Amanda Williams sagt: herrschaftlich. Es ist herrschaftliches Gelände, das sechzehnte Stockwerk, nur noch wenig unterhalb der Direktion. Hier leuchtet nicht nur in der Decke eine Neonbatterie, auch eine Leselampe unter kostbarem Glas aus Schweden, und über der Schreibmaschine zwei abgeschirmte weiße Stäbe, die den tiefen Kugelkopfkanal vollständig unter Licht setzen. Der Schreibtisch hier ist nicht aus der Konfektion, die so ärmliche Tiefen wie die Abteilung Foreign Sales beliefert; dies ist ein mit Kunst ausgedachtes Brett, dem sanft gleitende Schmuckkästchen eingepaßt sind. Dies Zimmer erwartet nicht Besuch, der sich zufrieden gäbe mit einem gewöhnlichen Stuhl; hier sollen die Herrschaften auf dem Sofa sitzen. Nicht nur liegt hier wollener Flausch statt des Spannteppichs unten, das Office sitzt obendrein in einer Ecke des Gebäudes, hat in zwei Wänden ein Fenster, nahezu sechs Quadratyard Licht hinter den venezianischen Jalousien, heute zwar finstere Wolken. Es ist eine Beförderung wie in einem amerikanischen Märchen.
Aber die Angestellte Cresspahl sitzt auf dem noblen Polster dicht neben der Tür, nicht wie die Besitzerin sondern wie Besuch, bereit zum Weggehen, ohne Blick für die Papiere und Schreibsachen, die sie in den Tresor und die offenen Schubladen zu räumen hätte. Es ist nicht zugegangen wie in einem Märchen.
Die Ankündigung des Umzugs war ungefähr gewesen, ohne Termin, halb schon vergessen. Unverhofft, mitten in der Arbeit, am hellichten Morgen trat das gesandte Schicksal vor die Tür in Foreign Sales, verblüffender als ein Glasreiniger vors Fenster rutschen kann.
– Einen ausgezeichneten guten Morgen! ließ das Schicksal wünschen.
Abgesandt war ein schmächtiger kraushaariger Junge in einem weißgrauen Overall, das Symbol der Bank eingestickt über dem Herzen. Er nahm Mrs. Cresspahl mit beiläufigem Nicken Maß und schob einen gedrungenen Wagen auf Gelenkrollen in die
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