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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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ging finden.
    Am Donnerstagabend blieb er in Gneez. Er machte einen Besuch bei Wilhelm Böttcher, Meister der Tischlerinnung im Landkreis Gneez, und nach ihm kam Herbert Vick und wollte Böttcher vernehmen. Wenn Böttcher zu glauben war, hatte Cresspahl ihm von seinem besten Holz abgekauft, helle Eiche, fünf Jahre gelagert. - Sie wissen doch, ich bin von der Kriminalpolizei, nicht von der Gestapo: sagte Vick in seiner herausfordernden Art, die er für gewinnend hielt, aber Böttcher mochte nicht sagen, ob er Cresspahl für allzu geschäftstüchtig hielt, weil der Ankäufe tätigte, während seine Frau noch über der Erde war. Vick ging weg mit viel Appetit auf die nächste Unbegreiflichkeit.
    Vick verbrachte den Abend im Speisesaal des Hotels Stadt Hamburg, in dem Cresspahl sich eingemietet hatte. Saß bei seinem dienstlichen Bier, ein behaglicher kleinwüchsiger Dicker, knetete sich das mollige Kinn und starrte entrückt in Richtung der Tür, wenn er die Nase nicht in seinem fetten Notizbuch hatte. Was Cresspahl aufs Zimmer bestellte, erfuhr Vick nicht, weil Alma Witte sich nicht einschüchtern ließ. Bei den Angestellten, die er heimlich abpaßte, gelang es ihm besser. Lange rührte Cresspahl sich gar nicht, als wolle er vor jedermann verheimlichen, wo er war. Nach einer Weile war Vick schon an den Tisch von Landgerichtsdirektor Wegerecht eingeladen, fühlte sich da ausgesetzt mit seinem Bier und Korn, konnte sich nicht entschließen zu dem Rotwein, den die Herren tranken. Endlich sah der Hausdiener wie suchend in den Saal, und Vick begab sich an den Empfang. Er stellte sich neben die Telefonistin und las die Zettel, auf die Cresspahl seine Telegramme geschrieben hatte, reichte ihr Stück nach Stück zu. Es waren gewöhnliche Todesanzeigen nach Timmendorf, Wismar, Wendisch Burg, Neustrelitz, Schwerin, Berlin, Lübeck. Das nach London ließ er sich übersetzen. - Herr Cresspahl lädt den Empfänger ein, am Begräbnis seiner Frau teilzunehmen: sagte Elise Bock schnippisch, zufrieden mit ihren fremdsprachlichen Kenntnissen, aufgebracht über die Schnüffelei, und Vick sagte auch ihr, daß er immerhin von einer gewissen Behörde sei, und nicht von einer gewissen anderen. Es gelang ihm besonders grob, weil ihn die Gewißheit störte, mit der Cresspahl den Tag der Beerdigung nannte, als ob man ihm die Leiche bis dahin übergeben werde. Smith in Richmond, es klang nach Verstecktem. Die Herren Wegerecht und Rehse gaben mittlerweile offen zu mit ihren Fragen, daß er für ihre Gesellschaft nur gut war, damit sie ihn über diese neue jerichower Sache ausholen konnten. Vick verschanzte sich hinter der Verspätung der Obduktion und ging früher, als ihm lieb war. An der Ecke des Marktplatzes drehte er sich um, aber Cresspahls Fenster waren immer noch halb offen, und dunkel.
    Am nächsten Morgen paßte er den Mann auf dem Bahnhof von Gneez ab. Der war um sieben Uhr im Krankenhaus gewesen, und sie hatten ihm die Frau nicht gezeigt. Vick hätte ihm das voraussagen können. - Ich möcht es Ihnen nicht raten: sagte Vick. - Ja: sagte Cresspahl. - Ich mein, daß Sie Ihre Frau ansehen: sagte Vick. - Ja: sagte Cresspahl. Er schien kaum übernächtig, aber seine Augen mochten nicht recht zugreifen, dem waren darin mehr Adern geplatzt als gestern. Vick ließ den mit dem jerichower Zug abfahren und setzte sich in sein Auto, aber auf der schmalen, lange aufsteigenden Chaussee geriet er hinter recht langsame Lastwagen, und mit Leuten, die die Zeichen W und L führten, mochte Vick nicht anbinden. Von nun an war Cresspahl ihm mehr als eine halbe Stunde voraus.
    Die jerichower Feuerwehr hatte eine Brandwache aufgestellt bei der Ruine, die sie nicht hatte löschen können. Das Werkstatthaus war eingestürzt bis auf die östliche Außenwand, an der die Reste der ehemaligen Ställe klebten und am südlichen Ende der fast unversehrte Kasten der Pinnowschen Futterkammer. Wo eine Maschine gestanden hatte, drang manchmal noch ein wenig Rauch aus den Trümmern. Das Holzlager auf dem Hof hatten sie im Brennen auseinandergerissen, die schwarz verkohlten Balken lagen kreuz und quer bis an die übriggebliebene Wand. Den Stacheldrahtzaun im Busch hatten sie losgerissen und quer über den Ziegeleiweg gezerrt, wie eine Sperre. So war das Wohnhaus lange nicht zu sehen gewesen, nur noch durch die kahlen Walnußbäume verstellt, sehr weiße Fensterkreuze in dem sauberen roten Gemäuer. Der Himmel, ohne Sonne, war hell, weiß. Für Cresspahl war es so still,

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