Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
als seien da keine Leute.
In der Küche war das Feuer unter dem Wasserkessel wie jeden Morgen. Die Tür zu Lisbeths Zimmer war verschlossen.
Ihr Kleid lag über dem Fußende des Bettes. Sie hatte es in den Schrank hängen und dann schlafen wollen. Die Decke war zurückgeschlagen. Sie hatte auf dem Rand des Bettes gesessen, nicht lange. Hier war die Luft fast ohne Rauch.
In der Küche hatte sie die Windlaterne vom Haken genommen. Sie war an den Flurtüren sehr leise gewesen, um die Arbeiter in den westlichen Kammern nicht aufzustören. Kam auf bloßen Füßen.
In der Vorratskammer war Petroleum verschüttet. Hier hatte sie es schon eilig gehabt. Von der Hintertür an war sie wohl gelaufen.
Sie hatte sich so wenig Zeit gelassen, sie hatte die Wäscheleine nicht abgeknüpft sondern mit einem Gartenmesser durchgehauen. Die Pflichtjahrmädchen hatten bei ihr gelernt, jeden Knoten aufzulösen. Das Gartenmesser war von oben in einen Zaunpfahl gestoßen, damit es gesehen wurde und nicht verdarb.
Neben der Pumpe, wo der Weg abzufallen begann, war im feuchten Boden ein Eindruck, als sei sie da gefallen, auf ein Knie. Aber da lagen viele Schrittspuren übereinander, und solche von nackten Füßen waren nicht zu finden.
Der südliche Giebel des Werkstatthauses war schräg weggebrochen. Das Tor bestand nur noch aus den Rahmen. Die Streben waren mit Äxten weggeschlagen. Die Scherben auf dem Boden waren schwärzlich und fettig verqualmt. Die beiden Flügel waren in der Mitte immer noch fest durch das Schloß verbunden. Hier hatte sie sich einen Vorsprung verschafft.
Als sie in der Nacht zum Donnerstag in die Werkstatt trat, hatte es nach geschnittenem Holz gerochen, nach Beize, Lack, Maschinenöl, Arbeit. Sie hatte das Licht nicht eingeschaltet, weil Alwin Paap von dem großen hellen Fleck in der Nacht hätte aufwachen können. Sie hatte den Schein der Lampe mit dem eigenen Körper abgedeckt und sie in der Mitte der Tenne unter einer Maschine abgestellt, so daß die Scheune von außen her wieder dunkel aussah.
Dann hatte sie noch einmal eine Wahl. Sie konnte eine Leiter von der Wand haken, sie an einen der Querbalken stellen, nach oben klettern, die Leiter wegstoßen, und sich mit der Wäscheleine an den Balken binden und springen. So hätte sie nicht drei Stunden gebraucht zum Sterben. Aber vielleicht wollte sie nicht schiefköpfig, mit gebrochenem Genick gesehen werden, von Niemandem. Dann entschloß sie sich dazu, daß sie überhaupt nicht gefunden werden sollte.
Dann legte sie die Leine über eine Sägekante und schnitt sie in kurze Stücke, die zum Erhängen nicht taugten. Nun brauchte sie nur noch die Lampe umzustoßen. Hier brannte alles.
Aus der Pinnowschen Scheune war in fünf Jahren ein festes, winddichtes Haus geworden. Das war innen auch im Winter trocken, und noch an den kältesten Tagen ein wenig verschlagen. Sie brauchte dem kleinen Feuer nicht viel zu helfen. Es genügte, ihm einen Weg von einer Längswand zur anderen zu legen, dann waren sie schon heiß und farbig verkleidet.
Als vom dritten Querbalken herunter ein flackerndes Tuch von Feuer das Nordtor verhängte, schlug es schon in die Kammer, wo die Ölkannen standen. Dann war sie rundum umgeben, bis auf eine undichte Stelle vor dem Südtor, die immer noch einmal aufriß. Mit einem Sprung wäre sie hindurchgekommen.
Sie hatte nicht fliehen wollen. Sie hatte sich in der ehemaligen Futterkammer eingeschlossen, damit man sie nicht gleich und nicht leicht herausholen konnte. Sie hatte da warten wollen.
Als sie durch die Tür ging, hatte sie kaum Feuer mitgenommen. Den Schlüssel hatte sie fest in eine Ritze zwischen den Bohlen geklopft, daß er nicht mehr zu erkennen war. Die Futterkammer, später Arbeiterzimmer, war ausgeräumt; da war kein Werkzeug, mit dem sie den Schlüssel aus dem Fußboden hätte holen können. Das Fenster hatte Streben aus Eisen, und war eingemauert. Sie hätte sich nicht einmal Luft verschaffen können; vor dem Fenster war noch die schwere Luke, von außen verriegelt. Dann war sie sicher eingesperrt gewesen.
Der Brand war nicht von der Diele her zu ihr gekommen, sondern durch die Wand der Werkzeugkammer, und von oben. Anfangs knisterten die Wände nur, dann schwelte die Hitze sie schwarz. Der Fußboden blieb bis zuletzt unversehrt. Dann hatte sie sich die Füße zusammengebunden, den Strick im Ring verknotet, damit sie nicht davonlaufen konnte. Wenn sie ganz benommen war, hat sie versucht, sich die Hände zu fesseln. Das
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