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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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es. Wenn die Arbeitszeit zu Ende geht, fehlt am meisten ein leises Klicken. Das war Amanda unten, die vor der offenen Tür ihre Kaffeetasse für die Nacht einwickelte und behutsam auf ihre Stahlkommode stellte. Mit diesem Klick fing der freie Rest des Tages an.
    Es ist so still, einmal ist die Angestellte Cresspahl erst eine halbe Stunde nach der Zeit nach Hause gegangen. Sie hatte die Zeit vergessen. Es war ihr nicht recht, und das anerkennende Lächeln Mr. Kennicotts II im Fahrstuhl machte das Versäumnis nicht besser. Unten hatten die Leute auf einander ein wenig geachtet und ausgeholfen; hier oben soll Jeder allein fertig werden.
    Manchmal scheint es nicht möglich. Und kommen Sie gut nach Hause, Mrs. Cresspahl, nehmen Sie sich in acht. Take care.

5. März, 1968 Dienstag
    Wenn in der Bank davon gesprochen wird, daß die Bude demnächst zusammenkracht, klingt es hoffnungsfroh, befriedigt. Heute heißt es, noch eher als bei der Chase Manhattan Bank hätte hier passieren können, daß eine kleine Bande einen Komplizen in der Kabelabteilung dazu benutzt, vermittels eines gefälschten Telegrammauftrags bei einer schweizer Bank genau $ 11 870 924,- anzufordern. Ein einziges Wort hat Chase Manhattan gerettet. Die Gangster hatten die Überweisung in Dollars statt in schweizer Franken verlangt, nur deswegen fragte Zürich noch einmal nach. Könnte bei uns mit gleicher Wahrscheinlichkeit durchgezogen werden.
    Und als der Vizepräsident gestern so angestrengt nachdachte, daß er sein Diktiergerät auseinandernehmen mußte, fand er darin ein Nest von Kakerlaken. Warum muß er sich in seiner Suite auch einen Kühlschrank halten. Die Biester riechen Lebensmittel durch zwanzig Stockwerke. Das Haus macht es gewiß nicht mehr lange.
    Wenn die Stadt zugrundeginge, die Schaben würden sie überleben.
    Wir hatten unsere Wohnung bekommen von einer Dänin und einer Schweizerin, und anfangs war es nicht glaublich. Auf dem Parkett lagen morgens braune Flügelschalen, wie von winzigem Ungeziefer abgeworfen. Im dunklen Abwaschbecken waren bräunliche Kriecher versammelt und liefen weg unter dem eingeschalteten Licht, um nichts bekümmert als um das Entkommen. Sie sahen so unbeirrbar aus. In Jerichow war eine Schabe ein Werkzeug gewesen. Ich glaubte an ein Versehen und setzte den Schuh auf die erste Schabe, die sich auf dem Fußboden erwischen ließ. Vergeblich, sie war schon verschwunden in einer Ritze, die das bloße Auge nicht vermutet hatte. Das hätte gefährlich ausgehen können. Denn sie können Allergien auslösen, vom Asthma bis zum Hautausschlag, noch im Tode, und es wäre mit dem Wegwerfen von Schuhen und Strümpfen kaum getan gewesen. Sie sind zu schnell für diesen Tod. Der Luftzug, den die Fußbewegung macht, wird von ihren winzigen Härchen in die kraftvollen Beine weggemeldet, ohne Zeitverlust im Gehirn, und bevor der Schuh den Boden erreicht, ist das Biest weggehuscht. Sie waren überall, in Buchrücken, in Polstern, in Lampenfassungen, alle mit fünf Augen, sechs Beinen, zwei hochempfindlichen Antennen, und diesmal lobte ich die Supermärkte, weil da nach Sprühgiften nicht ausdrücklich gefragt werden muß.
    Mrs. Cresspahl war so geniert, sie erklärte eine Schabe an der Wand für eine Fliege, wenn Marie danach fragte. Warum soll eine Fliege nicht einen halben Zoll lang sein. Marie war noch nicht vier Jahre alt und nahm es hin, weil sie Manches in diesem Land größer gefunden hatte.
    Dann, an einem hellichten Tag 1961, saß Marie auf dem Boden und betrachtete etwas neben ihr auf eine diskrete, geradezu kameradschaftliche Weise.
    Es war ein Schabenweibchen, das da niederkam, ganz schwer von Schwangerschaft. Vielleicht war sie zu schwach, sich zu verstecken, oder der Sicherheitsinstinkt war nicht mehr vorrangig. Marie konnte später davon erzählen, von dem sackartigen Behälter, der von der Taille an über den Unterleib gestülpt war, stramm wie ein Federkissen, lang und schmal, der aus einer seitlichen Öffnung kleine weißliche Fäden in rascher Folge abgab, fast wie ein zügig laufendes und zerhacktes Band, und die madenähnlichen Fähnchen entfalteten sich, quollen auf, nahmen einen grauen Schimmer an, waren schon als Körper zu erkennen, alles in winzigen, deutlichen Zeitabschnitten, unzähligen in einer Sekunde, und während die Mutter noch auf der Seite lag und die Puppen abgab, waren die ersten schon beim Loslaufen, fertig bis auf die Flügel, und Marie fragte. Weil das Wort Kinder in der Erklärung

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