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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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nun hatte Gesine Cresspahl schon seit drei Wochen mehr Freunde als sonst in der Schule und mußte das Ding immer von neuem aus dem Tornister holen und zeigen.
    Sie hatte eine geringfügige Sorge. Ihr ging nicht aus dem Kopf, was Hauptlehrer Stoffregen einüben ließ:
    Adolf Hitler ist der Führer.
    Adolf Hitler liebt die Kinder.
    Die Kinder lieben Adolf Hitler.
    Die Kinder beten für Adolf Hitler.
    Es war nicht das Einlernen gewesen; nur daß es auch wiederkam, wenn sie es nicht aufsagen sollte. Es fühlte sich beim Denken so fest zusammengehalten an. Wie geht das, wenn man eine Sache nicht glaubt, und sie läßt sich doch nicht aufbrechen?
    Cresspahl hatte eine Sorge anderer Art. Der halbe Penny mit George  VI . hinten drauf hatte ihm nicht genügt, wenn er auch das Prägejahr 1940 trug.
     
    – Das wollte ich dir schon vor zehn Tagen sagen! Den kann ein abgeschossener englischer Flieger in der Tasche gehabt haben, aus Vergeßlichkeit, als Talisman! Und es waren die Deutschen, die ihn damit köderten! Womöglich hat er die ganze Zeit für die gearbeitet, und nicht für die durch und durch verluderten Engländer: sagt Marie, nicht sehr bestimmt, jedoch hoffnungsvoll. Sie hat sich den Einwand seit dem vorigen Sonnabend aufbewahrt, für den Moment der besten Wirkung. Sie mag nicht, daß Einer sein Land verrät.
    – Das hatte er zwar nicht nach zehn Tagen heraus.
    – O. K. Er hatte es gleich heraus.
    – Und er gab sich vorerst mit so einer Art Beweis zufrieden. Er bestand nicht auf einem zweiten; er brachte einmal die Rede darauf.
    – Er hatte Angst.
    – So vergeblich sollte es nicht sein. Allerdings wäre er gern heil herausgekommen, vielleicht sogar dem Kind zuliebe -
    – Ein Kind zählt da gar nicht.
    – und Ende März bekam er einen Bescheid. Das war bei einem Treffen, zu dem er den Brief hätte mitbringen sollen, den der Inspekteur der Jagdflieger Werner Mölders an den Propst von Stettin geschrieben haben sollte, bevor er im November 1941 bei Breslau abstürzte. Der Brief machte die Nazis so wild, sie drohten K. Z. an für die Verbreitung von Abschriften; und die Briten hätten ihn gern für ihre Flugblattpropaganda gehabt, ob er nun gefälscht war oder nicht. Den Brief hatte Cresspahl nicht finden können; auf dem Flugplatz Jerichow Nord wurde gelegentlich schweigend auf Mölders getrunken.
    – Heißt es nicht, daß die Deutschen Nichts wußten von den K. Z.?
    – Vielleicht die, die den Lübecker General-Anzeiger nicht lasen. Cresspahl hatte Gesine von Alexander Paepckes Radio mit dem magischen Auge erzählen lassen und unternahm am 25. März eine Reise, im Grund zum Vergnügen, obwohl K. Z. darauf stand.
    – Ein Mann mit einem Kind.
    – Das schien nicht ein schwerer Fall, sondern mochte notwendig aussehen. Übrigens war es nicht zum Vergnügen allein; er sollte auch in der Gegend von Rechlin nachsehen, was es mit der nächtlichen Knallerei auf sich hatte. Hörte sich nach Raketen an. Dahin war es von Wendisch Burg nicht weit, und so sollte auch noch Gertrud Niebuhr zu ihrem abonnierten Gesinebesuch kommen. Als Cresspahl in Podejuch vor Alexanders magischem Auge saß, war Dr. Kliefoth auf Urlaub von der Rußlandfront in Jerichow, hörte die B. B. C. und wunderte sich sehr über die Geschichte, die in der Sendung nach den vier Beethovenschen Tönen erzählt wurde. Er kannte sie anders.
    – Dafür riskierte Alexander Kopf und Kragen.
    – Alexander war bei der Heeresintendantur Stettin, siehst du wohl. Dem fahr an den Wagen. Wohl wurden die Kinder weggeschickt, wohl blieb er am Empfänger stehen, um die Nadel unverzüglich auf eine andere Station schieben zu können; aber wenn Heinrich mal wissen wollte, wie das war, London hören, den Gefallen sollte er haben.
    – Fang an, Gesine. Ich glaub es schon wieder. Ich falle immer von neuem darauf herein. Fang an.
    – »The memorable hero Robin Hood -«
    – Als ob ich es gewußt hätte.
    – »having been unjustly accused by two policemen in Richmond Park, was condemned to be an outdoor and lived with a maid who was called Lizzie Pope near a brook where there was no forest …«
    – Lisbeth Papen und Brock. Das hätten sie ihm ersparen können.
    – Und wiederum nicht. Sie bewiesen, daß sie von ihm wußten.
    – Und was hatten die Polizisten in Richmond Park von ihm gewollt?
    – Das wußte er allein. Im Sommer 1931, vor der Hochzeit mit Lisbeth, war er nachts im Park von Richmond spazieren gegangen, zu einer Zeit, da die Polizei auf Lauer lag

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