Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
von seinen Flügen als Angehöriger des II . Armeekorps nach Jersey, »auf Kosten des englischen Königs«. Er als einziger mochte das englische Frühstück, »nu man ran mit dem porridge«, und die italienischen Kellner freuten sich wie die französischen sich angetan gezeigt hatten von seinem Verständnis für die nationalen Spezialitäten. Nu mal ran mit dem porridge!
Das half Cresspahl nicht. Von Böttchers Sohn, dem weltbefahrenen Klaus, hatte er gehört, daß Kliefoth auf dem französischen Vormarsch recht herrenmäßig an der marschierenden Kolonne vorbeifuhr, lässig im Fond, eine lederbezogene Silberflasche mit Cognac am Mund.
Jetzt versuchte Kliefoth es noch einmal. Wie er 1940 eine Schülerin mit einem jüdischen Namen arisch schwor.
So wie Katzengold.
Sagen Sie mir bloß nich noch den Namen.
Nich?
Ja, Herr Kliefoth. So is dat.
Und wenn’s ein Meineid war, will ich selig werden damit, und tät’s noch mal.
Die lebt ja wohl.
In Hamburg lebt sie! Sie könnten mir auch mal trauen, Se Klattenpüker Se!
Dann übersetzte Kliefoth Doras Brief. Auch Arthur lebte noch. Nach der Besetzung der Č. S. R. hatten sie es mit der Schweiz versucht, hatten aber nur zwei Tage auf Stroh in einem Lager bleiben dürfen. Ihr Geld war nicht mehr genug gewesen. Das hatten sie bei Paris verlebt. Als die Deutschen nach Frankreich kamen, hatten sie wahrhaftig die Flucht ins unbesetzte Gebiet geschafft. In diesen sieben Tagen zu Fuß und auf überfüllten Zügen sei Arthur »aufgewacht«. Nicht daß er sich zu Marseille hatte überreden lassen und zu dem Versuch, nach Übersee zu kommen; aber er hatte nahe Cannes eine Wohnung beschafft, falsche Papiere besorgt und eine Anstellung gefunden, alles fast innerhalb einer Woche. Arthur spüre seine sechzig Jahre kaum, und arbeite doch als Schlachter. Hat nun doch einmal sein Gutes, daß er Veterinärmedizin studiert hat. Schlägt die Tiere kurz und klein, die er zu heilen gelernt hat. Wegen Illegalität von Arbeit und Wohnung keine Adresse anzugeben möglich. »Wir bitten dies auch den Eltern mitzuteilen, die uns nicht antworten. Wir denken in herzlicher Liebe an Lisbeth und das Kind. Ihr hättet euch man doch noch duzen müssen, ehe wir gingen; Arthur tut das Versäumnis leid, und er war doch der Ältere. Wir danken auch. Lisbeth, nimm dir nicht immer alles so ins Gewissen. D. S.«.
Kliefoth bedauerte das Fehlen einer Adresse. Er hatte Leute im Amt der deutschen Abwehr, die auch noch nach der italienischen Besetzung der Riviera den Semigs hätten helfen können und mögen, und Cresspahl glaubte ihm.
Kliefoth riet Cresspahl, den Brief nicht mit nach Hause zu nehmen. Kliefoth lobte noch einmal Doras Französisch, seins sei dagegen »primanerhaft«. Der Brief wurde in Chambers’s Encyclopaedia gelegt, neben Seite 467, Vetch und Veterinary Medicine.
Kliefoth hatte recht. Am nächsten Morgen kamen die Greifer von der Gestapo zu Cresspahl, und er konnte ihnen guten Gewissens sagen, er habe den ihm unverständlichen Brief verbrannt. Sie hatten ihn darauf festnageln wollen, daß er Doras Brief nicht meldete.
Und warum haben Sie sich nicht an Ihre französischen Kriegsgefangenen gewandt?
Wieso wollten Sie die Handschrift nicht erkannt haben?
Wenn der Briefwechsel von Ihrer Frau besorgt wurde, wollen wir Ihre Frau mal sprechen. Aber fix!
20. März, 1968 Mittwoch
Der Angestellten Cresspahl wird aus Westberlin, Deutschland, geschrieben: zwar garniere sie gelegentlich Berichte aus Viet Nam mit unfreundlichen Adjektiven, »was man wohl mindestens erwarten darf«.
Da sind Leute in Deutschland, die kümmern sich um meinen Anstand. Für die soll ich den Krieg in Viet Nam zu Ende bringen.
Das wäre dann mehr als das Mindeste.
Ich könnte einen Leserbrief an die New York Times schreiben; ich könnte fürs Leben ins Zuchthaus gehen wegen eines erfolglosen Attentats auf den Präsidenten Johnson; ich könnte mich öffentlich verbrennen. Mit Nichts könnte ich die Maschine des Krieges aufhalten um einen Cent, um einen Soldaten; mit Nichts.
Es gibt in Deutschland Leute, die wollen es mir immerhin vorhalten.
21. März, 1968 Donnerstag
Ein westdeutscher Schauspieler, der einmal ein ostdeutscher Schauspieler war, ist zurückgegangen nach Ostdeutschland, weil er weiß, daß die dortige Herrschaft nicht beteiligt ist an der Unterdrückung der Neger in den U. S. A. und auch nicht am amerikanischen Krieg in Viet Nam. Er wußte das vorher nicht. Wenn Einem eines Landes Verbrechen im
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