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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Vollständigkeit halber, die Postzustellung im Todeskampf gesehen. Wenn es doch wenigstens gälte für die unerwünschten Anrufe! Daß dann doch nur die Briefe kämen, von denen wir sagen mögen: sie gefallen uns!
    Ohne den heutigen aus Boston könnten wir auskommen. Da versucht ein schwer gewordener Fußballer ganz zierlich aufzutreten, will seine Reden nur behutsam mit Händen begleiten, und wenn er doch einmal zufassen muß, soll es gelinde abgehen, damit man ihn nicht haftbar machen kann für Verletzungen. F. F. Fleury, dem die Annie Killainen mit drei Kindern weggelaufen ist, im vollen Bewußtsein seiner französischen Formen, hat ein säuberliches Manuskript auf die Post gegeben, die dritte Fassung ohne Tippfehler, wahrscheinlich mit hinterlegten Durchschlägen. Da sehen Sie einmal, wie höflich F. F. Fleury sich geben kann, Mrs. Cresspahl!
    Er wolle nicht beginnen mit dem Vorwurf der Lüge und der arglistigen Täuschung. Das soll uns willkommen sein, Dr. Fleury. Denn es könne ja ein Zufall sein, daß gelegentlich das Cresspahlsche Telefon in New York von Fleury junior bedient werde. Da haben Sie ein Tor geschossen, Fleury. Gut der Junge.
    Er wolle daraus nur schließen, daß Mrs. Cresspahl den Aufenthaltsort Annies kenne, oder, sogar, ihn auf Annies Wunsch verschweige. Da haben wir eines Mannes Edelmut. Ja, nicht wahr? Nichts liege ihm ferner, als eine solche Freundschaft zu stören, oder zu unterbinden. Mal los, Mr. Fleury.
    Zum Beweise dessen werde er davon abstehen, Mrs. Cresspahl vergangene Dinge vorzuführen. Was für Dinge, Mr. Fleury? Dinge wie die Untergrabung freundschaftlichen Vertrauens schon durch die Weigerung, zum Gebrauch des Vornamens überzugehen. Das stimmt, Mr. Fleury, es war ein Abend im vorigen April bei Kerzenlicht und Kaminfeuer, Annie war zum Eisholen weggegangen, und es hätte wohl etwas mehr werden sollen als ein Wechsel bloß in den Formen der Anrede. Dergleichen sei vielleicht nicht überlegte Zurückweisung gewesen, sondern Starrheit aus Natur, aus der deutschen Natur. Sie haben so ein gewisses Etwas, Mr. Fleury.
    Weiterhin werde er nicht wiederholen, was an Mrs. Cresspahl abstoßend zu finden sei; nicht einmal Annie gegenüber. Dies betreffe das absichtliche Herauskehren hausfraulicher Tugenden in der Küche von Gastgebern; eine Art von Verhalten, das noch in der Etikette auf Leistung orientiert sei und dessen intellektueller Anspruch allemal den Vorzug vor zwischenmenschlichen Beziehungen habe; schließlich ein pädagogisches System, das zumindest Mrs. Cresspahls Kind zu einem eingeschüchterten Automaten gemacht habe. Marie, geh hin, du Automat, und knall ihm eine!
    Diese Behauptungen nehme er hiermit förmlich zurück; wie auch sämtliche anderen, die Mrs. Cresspahl habe als unangenehm empfinden können. Nun hat Annie uns solche Sachen gar nicht mitgeteilt, sollen wir ihr den Rest etwa abfragen?
    Was jedoch die Sache angehe. Das schon lieber, Mr. Fleury.
    Es sei unbedacht von ihm gewesen, Mrs. Cresspahls Darstellung anzuzweifeln, nach der Henry Cabot Lodge schon 1965, damals U. S.-Botschafter in Saigon, amerikanische Ölinteressen in Süd-Viet Nam und Südostasien angedeutet habe. Habe ich das tatsächlich gesagt? das könnte ich nicht mehr beweisen. Des weiteren habe er sich eher verlassen sollen darauf, daß die U. S. A. über die U. N.-Wirtschaftskommission für Asien und den Fernen Osten die seismischen Versuche für künftige Ölbohrungen in Viet Nam finanziere und die Ergebnisse gekauft habe. Er habe nachgesehen; die Äußerung H. C. Lodges sei wirklich getan worden, die E. C. A. F. E. existiere und habe die behaupteten Aufträge ausgeführt. Auch der Name David Rockefellers sei nicht zu Unrecht in diesem Zusammenhang genannt worden. Na ja, Mr. Fleury. Nein, doch, er werde es in solchen Sachen kein Mal mehr mit Mrs. Cresspahl aufnehmen und wolle ihr die gehörige Hochachtung nicht versagen. Dafür kaufen wir uns was, Mr. Fleury.
    Bestreiten müsse er Mrs. Cresspahl jedoch das Recht, aus dem Nachweis geschäftlicher Ziele abzuleiten, daß die amerikanische Beteiligung am Krieg verbrecherisch sei. Das sei, wenn schon marxistisch, vulgär. Erstens, die Nation habe für ihre Investitionen im südvietnamesischen Erdöl die geforderten Zahlungen entrichtet und sei damit legitimiert, für den Schutz dieser Investitionen zu sorgen. Dadurch sei keineswegs das Selbstbestimmungsrecht Viet Nams beeinträchtigt, eher gefördert durch die Beteiligung der U. S. A. an der

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