Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
hatte höflich die Zangen ans Feuer gelegt und war mitgekommen vor die Schmiede, um die Antwort zu geben. Er habe das Geld nicht, erstens. Zweitens, nicht dafür. Drittens, dem Jungen sei es von seiner Hitlerjugend verboten. War es möglich, daß Bienmüller danach eine Meldung schrieb von Belästigung? Oder hatte Bienmüller von Brüshavers Besuch erzählt, und ein Zuhörer, dessen Geschäft es nicht war, hatte sich daraus eins gemacht? Bienmüller war am Montag nach Palmarum an Creutzens Treibhäusern zu Gange gewesen, und hatte über den Zaun des Pfarrhauses nicht ausführlich gegrüßt, aber als gäbe es keine Beschwerde.
Die Herren hatten sich nicht gescheut, einen Pfarrer Niemöller zu verurteilen, einen Seeoffizier, Freikorpskämpfer, der seit 1924 bei jeder Wahl für die N. S. D. A. P. gestimmt hatte. Brüshaver hatte deutliche Erinnerungen an ihn aus der kieler Zeit nach dem Waffenstillstand. Niemöller hatte sein Boot am 30. November 1918 mit wehender Kriegsflagge eingebracht. Er hatte gar nicht daran gedacht, es zur Auslieferung nach England zu fahren. Damals war verboten, zur Uniform beim Ausgang den Offiziersdolch mitzuführen, und Niemöller wollte die Ehre von des Kaisers Tuch verteidigen, indem er jedem Anrempler den Dolch zwischen die Rippen stieß. Brüshaver war nicht bei den Ubooten gewesen, auf einem Zerstörer. Es gefiel ihm nicht, daß die neuen Herren einen Kameraden, einen Kaiserlichen Offizier zu Festung verurteilten. Er war mit Niemöller in seinen Äußerungen im Prozeß nicht einig gewesen. Daß Niemöller sich berief auf sein Glückwunschtelegramm an Hitler, wegen Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund, es sah doch etwas händlerisch aus. Er hätte sich zur Arierfrage in der Kirche anders verhalten können. Daß die Juden ihm unsympathisch und fremd vorkämen, das war seine Sache, nicht die der Kirche. Arthur Semig war für Brüshaver ein Glied seiner Gemeinde gewesen, nicht ein Jude. Er hatte Semig noch 1934 das Abendmahl gegeben; danach war er ja nicht mehr gekommen. Unterschreiben wollte Brüshaver von Niemöllers Meinungen am ehesten, daß es von der Schrift her nicht angehe, die Taufe durch den Stammbaum auszuwechseln. Jesus sei nun einmal in dem Juden Jesus von Nazareth geworden. Richtig. Dann hatte er leider von »diesem peinlichen und schweren Ärgernis« gesprochen, das um des Evangeliums willen hingenommen werden müßte. Dumm Tüch. Peinlich war wohl eher seine Erzählung von einem Besuch beim Führer. Am Schluß habe der Führer ihm die Hand gegeben und etwas gesagt. Auch Niemöller habe etwas gesagt. Er glaube, der Führer und er hätten einander verstanden. Captatio benevolentiae; wenn man es milde ansah. Aber dann hatten sie ihn am 2. März weder in Freiheit gesetzt noch auf eine Festung, sondern verschleppt in das Konzentrationslager Sachsenhausen, und Brüshaver hatte doch die Kanzelabkündigung verlesen: Diese Maßnahme ist mit dem Urteil des Gerichts nicht vereinbar. Es steht geschrieben: Recht muß doch Recht bleiben; und: Gerechtigkeit erhöht ein Volk, aber die Sünde ist der Leute Verderben. Brüshaver hatte sich auf den Besuch von der Gestapo vorbereitet und hätte den Herren unverzüglich zeigen können, wo das geschrieben stand; dieses Mal waren sie nicht gekommen.
Nun war zu Quasimodogenitur das 20. Kapitel im Evangelium des Johannes an der Reihe. Er konnte sich zufrieden geben mit Maria, die ihren Sohn nicht mehr berühren darf. Aber da war auch Thomas, der erst die Nagelspuren in Jesu Händen sehen und anfassen wollte, ehe er zum Glauben bereit war. Das mit dem Aufschreiben der Predigt nützte auch nicht. Wenn zwei gegen ihn schworen, war dennoch als gesagt erwiesen, was er nicht gesagt hatte.
Kein Verbot des Selbstmords in der Bibel. Er wollte wohl glauben, daß diese Lisbeth Cresspahl beide Bücher der Heiligen Schrift ausgelesen hatte. Aber war es nicht lächerlich, eine Bürgerstochter, die Frau von Cresspahl bei theologischen Kniffeleien zu sehen. Gewiß hatte Samson den Tempel nicht nur über den vornehmen Philistern eingerissen, sondern auch über sich. Abimelech hatte seinen eigenen Tod besorgt, damit er der Schande entging, von einer Frau getötet worden zu sein. Ahithophel und Judas hatten sich erhängt. Siehe auch Apostelgeschichte 16,27; Offenbarung 9,6. Simri hatte sich verbrannt, und es war als eine Folge seiner Sünden gegen Gott erklärt.
Es waren schließlich neun Stellen, die Brüshaver auf seinem Zettel notierte, statt die
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