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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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eine andere Frau sollte ihn prüfen. Manchmal braucht die Patin selber eine. Doppelt mußte ich schwören, bevor sie auch mir noch anvertraute, warum sie im Leben kein Kind kriegen würde als das von Frau Brüshaver in Mecklenburg. Sie hatte es dem Freund, er will lediglich »der Alte« heißen, im ersten Jahr gesagt; noch war sie unsicher, ob er ernstlich verzichten wollte auf Reproduktion. Der Alte und ich, er bestand, wir kamen zurück von einem tagelangen Spaziergang in den berliner Wäldern bei Schulzendorf, da saß Anita mit Marie im Garten des Alten Krugs von Dahlem. Marie war erschreckt, der Wind oder sie hatte ein volles Glas umgestoßen. Anita führte ihr den Hergang vor. – Le vent: sagte sie: vous comprenez? – Le vent: sagte Marie: vous …
    Die andere Trauzeugin war Frau Pastor Brüshaver, – weil ich doch die Neegste dazu bin: vermeinte die beherzte Matrone. Aber der Nächste dazu, das war Alex, zwölf Jahre, in seinem Konfirmandenanzug, mit Schlips. So hatte Anita zwei Kinder bei ihrer Hochzeit. Evangelisch, was sonst.
    Anita sah den Kindern zu, denen die festliche Tafel langweilig war, wie sie einander mit Schreibspielen unterhielten. Anita rang ein Vorurteil nieder, sie rief aus: Es sind beides gute Kinder!
    Marie dachte an Berlin noch lange als eine von windigem Sonnenlicht durchflutete Stadt, dahin fährt man zum Heiraten.
    Nachdem die Ämter in Ostberlin mit einer Mauer durch Berlin ihre Bürger gehindert hatten, weiterhin mit den Füßen abzustimmen, soll Anita am Henriettenplatz eine Kneipe benutzt haben als ein Büro, das half Leuten über die Grenzen jenes fremden Deutschland. Sie streitet es ab. Die Wirtin am Henriettenplatz habe anders geheißen, sei erst vierundzwanzig gewesen, mit Verwandtschaft geplagt … wenn Anita will, kann sie leicht vier Jahre jünger aussehen, noch heute. Und mit Namen geht sie achtlos um, wenn sie auf Wertpapier gedruckt sind, das wissen wir.
    Wie dem sei, ich reiste für Anita, als ich die Arbeit in New York verloren hatte, Pässe auszuprobieren auf dem Weg von Prag nach Warnemünde, von Trelleborg nach Wien. Da hieß ich oft wie die Leute, denen ein Stück solchen Transits noch bevorstand, und schützte fremde Lebensalter vor, ganz wie Anita das erbat.
    1962 hatten die Philosophen von Ostberlin sich überwunden, in der Kybernetik eine Wissenschaft und ein Werkzeug zu erkennen, statt ein Instrument kapitalistischer Ausbeutung; Alex nannte eine faßliche kybernetische Fibel längst sein eigen. Desgleichen Bücher, die verzeichnen, wer das Telefon in der Tat erfunden hat. Zum Nachschlagen.
    Mit vierzehn war Alex eitel. Kam an keinem Schaufenster in Gneez vorbei, ohne sein Spiegelbild zu überprüfen. Sah nach, ob ihm die schwärzliche Tolle im rechten Winkel in die Stirn hing. Anita war besorgt. – Von wem er das nur hat? fragte sie (in Briefen nach New York).
    Sie schickte ihm die amerikanischen Goldgräberhosen mit den aufgenieteten Taschen, da er darum einkam. Da sie einmal seine Maße besaß, ließ sie ihm danach einen Anzug aus khakifarbenem Leinen arbeiten. Anita gewann.
    Mit sechzehn fing Alex an zu rauchen. Seit 1962 konnte ein Bürger der D. D. R. westliche Tabakwaren im Heimatlande erwerben, in den Intershops, vorausgesetzt er vermochte Mark der Bundesrepublik oder Dollars auf den Tisch solcher Häuser zu legen. Bargeld schickte Anita ihrem Patenkind keines. Siehe Stadtsee Gneez, »Lucky Strike« aus Bulgarien, oder war es doch Dresden?
    1966 war Alex siebzehn und unterschrieb sich Alexander. Von Ferien in Polen schickte er eine Fotografie, da blickt uns ein mecklenburgischer Rundkopf entgegen, weichlippig aber finster unter dem lockig wuselnden Haarschopf. Die ausladenden, vom Schwimmen nassen Schultern, waren nach dem Sinn Anitas. Jedoch ist für sie bedenklich, diese Aufnahme sei von einem Mädchen gemacht worden. – Er ist doch noch ein Kind! rief sie.
    Im nächsten Jahr war er achtzehn, nach ostdeutschem Recht volljährig, und bekam zum Geburtstag zwei Bescheide. Der eine verweigerte ihm, Sohn eines Pfarrers, die Zulassung zum Studium (Mathematik). Der zweite lud den Betroffenen ein, seinen Wehrdienst abzuleisten zu Schutz und Verteidigung seines sozialistischen Vaterlandes. Anita hatte das eine vorausgesehen; für das andere war sie gerüstet.
    Wäre Anita missionarisches Betragen nachzusagen, sie hätte ihn doch zu besserem Fleiß im Fach Russisch überredet. Sie nahm seine bloß befriedigenden Zensuren in dieser Sprache hin, seufzend

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