Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
der Fru Pastor Behrendsen. Die Vorschrift des Dichters sagt: allens was rund an ehr, de Arm un de Hänn und de Fingern, de Kopp un de Back un de Lippen; die Cresspahl wand sich allerhand Tuch um die Hüften, machte sich klein und hielt sich vierzigjährig; auch packte sie sich die Haare im Nacken zusammen in einen Dutt; zur anfänglichen Besorgnis von Anita. Denn die hatte die Brüshavers eingeladen und vermeinte, Aggie werde Anstoß nehmen an einer Verkörperung, wie sie um den Tannenbaum wuselte as Quicksülwer und in einem fort beteuerte, sie sei doch die Neegste dortau. Aber Aggie lachte wie die übrige Gesellschaft, und klatschte Beifall; ’n goden Minschn was se. Dicken Sieboldt war Gast als Herr Pastor Behrens, und Lise gab Lowise, und Rike mit ehre lude Stimm wurde gespielt von Schäning Drittfeld, die uns pünktlich nach dem letzten Julklapp in Ohnmacht sank. An Dorfjugend war kein Mangel; Fru Pastor hatte echte Pfeffernüsse und Äpfel zu verteilen. Den wehmütigen Franz hatten wir gestrichen zu Gunsten von Kutscher Jürn; Pius war Jürn und Berichterstatter und hatte das Schlußwort mit seiner Fahrt durch das Dorf, dem Gesang ut de lütten, armen Daglöhnerkathen, un baben hadd uns’ Herrgott sinen groten Dannenbaum mit de dusend Lichter anstickt, un de Welt lag darunner as en Wihnachtsdisch, den de Winter mit sin wittes Sneilaken sauber deckt hadd, dat Frühjohr, Sommer un Harwst ehre Bescherung dorup stellen künnen.
Daß Herr Dr. Kliefoth den Beteiligten dankte und ihnen wie den Gästen frohe »Weihnachtsferien« wünschte, es war der Strohhalm, der dem Kamel den Rücken bricht. Denn er hätte uns hindern können. Wenigstens eine Woche zuvor hatte er die Verfügung auf dem Tisch, die winterliche Schulfeste nur für den Generalissimus zuließ, allenfalls noch für das Soli-Männchen, was immer das war. Auch war ihm als amtliche Bezeichnung für diese Pause im Schulbetrieb nunmehr der Ausdruck »Winterferien« auferlegt; haben auch immer seitdem so geheißen in Gneez und Mecklenburg.
»Solidaritäts-Männchen« hieß das, Fru Cresspahl.
So eines mit Hemd in der Nacht und brennendem Talglicht in der Hand?
Oder so wie Kohlenklau. Aber das mit dem Kamel, es ist ein Anglizismus, Fru Cresspahl.
An welchem Tropfen zuviel also haben wir Sie verloren?
Das war zum Aussuchen. Da fehlte ja wohl ein Feuerwehrmann auf der Bühne.
Herr Kliefoth, einen Eimer mit Wasser und einen mit Sand, daran hatten wir gedacht.
Und hatte da einer einen Helm auf und ein Beil in der Hand?
Eine Sanitätskompanie hat auch gefehlt.
So wier dat! Was war bloß mit Christiane Drittfeld? Die erinner ich drall, rotbäckig geradezu. Ne, stämmig.
Die sollte über Neujahr mit den Eltern in den Westen. Das Verschweigen, der heimliche Abschied mag sie überkommen haben.
Und nu hatten Sie noch den falschen Autor.
Fritz Reuter war der Namenspatron der Schule. Diss sag ich in würdigem Ton.
Den falschen Text.
1862 geschrieben in Nigen Bramborg!
In dem gegen Ende auch Bücher verteilt werden an die Kinder.
Schriwböker un Tafeln und Fibeln un …
Un Katekismen, jung Fru! Die Benutzung einer demokratisch-schulischen Örtlichkeit zu christlichen Zwecken, so heit’ dat! Propaganda wier dat!
»Quousque tandem!«
»Videant consules«: hew ick seggt.
Aber Sie sind doch erst abgesetzt worden im April danach.
Dunn kem dat dicke Enn rut. Oewerall in Mecklenburg müßt ein Upsatz schrewn warn, und von mine Schaul kem kein. »Was mir mein Lehrer von Stalin erzählt hat.«
So eine pädagogische Volksbefragung.
Nich in min Schaul.
Und am besten hätten Sie wohl weniger Briefe bekommen von der Freundschaft an englischen Universitäten.
Oder in die nationaldemokratische Partei gehen, wo sie die anerkannten Nazis sammelten, und den Schurrmurr aus der Wehrmacht. Es hätte wohl eine Weile geholfen.
Wer hat nun recht: die Lindsetter, oder die Stalin anführen? Oder Weihnachten?
Söken Se sick dat ut. Es konnte auch das Alter benutzt werden.
1950 war Herr Dr. Kliefoth ein volles Jahr vor der Pensionsgrenze.
Und wer Murrjahn hieß, und einer war, dat weiten Se woll.
In der Schule sah Gesine Cresspahl ihren Rektor zum letzten Mal, als er für einen seiner »jüngeren Herren« einsprang und Dienst tat im Kartenzimmer. Er hantierte mühsam mit den langen, schwer bewickelten Stangen. Auf den Lippen stand ihm ein dünner Strich Schaum, nach einer Stunde Latein mit den Abiturienten. Er erkannte sie gleich, als sie an der Reihe war mit ihrer
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