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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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beschrieben wie ein A und B und C,
    »daß die Bedingungen, unter denen wir unseren sozialistischen Staat nach dem Februar 1948 errichteten, sich verändert haben und daß die qualitativen Veränderungen in der Ökonomie wie in der sozialistischen Struktur unseres Landes es notwendig machen, die Fehler, Mängel und Mißbildungen der Vergangenheit zu berichtigen und die schändlich zurückgebliebene Wirtschaft auf einen zeitgemäßen Stand zu bringen.
    Aber die neuen Realitäten erfordern ein großes Teil mehr. Sie erfordern einen Übergang zu einem demokratischen, menschenfreundlichen und von den Bürgern bejahten Verständnis des Sozialismus nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch, vor allem, im öffentlichen und politischen Leben, wo der Sozialismus neue, weitreichende Begriffe von den Rechten des Einzelnen wie der Gesellschaft als Ganzem anbieten muß.«
    Die sowjetischen Genossen haben dies mit beträchtlicher Duldsamkeit angehört, womöglich angeheimelt von der Wortwahl. Es kann aber auch sein, daß eines der Worte zu oft vorgekommen ist. Sie haben es nicht angehört mit Begeisterung. Der Erste unter ihnen, das bleibt unwidersprochen, hatte Tränen in den Augen.
    Die Wahlen zum mecklenburgischen Landtag vom 20. Oktober 1946 zeitigten drei Ergebnisse.
     
    1.
    In der Nacht vom 21. zum 22. Oktober kam die Rote Armee heraus aus ihrem Zaun und machte Besuche in Gneez. Sie parkte große Lastwagen so leise an verschiedenen Stellen der Stadt, daß die folgenden Vorgänge in der Nacht kaum auffielen. Wo die Kommandos eine Wohnung öffneten, führten sie die Familien vollständig ab. Der Vorwurf der Roheit ist nicht angebracht, da die Soldaten den Betroffenen beim Kofferpacken behilflich waren und jeden gewünschten Gegenstand, von der Petroleumlampe bis zum eichenen Buffett, die Treppe hinuntertrugen und sorgsam auf die Transporter luden. Dies geschah in einigen Häusern mehrmals, in vielen Straßen gar nicht. Gegen Morgen, als die Berichte von Zuschauern in der Stadt überein trafen und die Umzügler längst in Personenzügen auf die neue Ostgrenze zufuhren, wurde die Vermutung laut, es habe sich abermals sowjetischer Nationalcharakter erwiesen, ein neues Beispiel für Impulsivität, auch Willkür. Dem muß widersprochen werden. Ein Vergleich der beseitigten Adressen ergab, daß ihnen, bei aller Streuung, zwei Dinge sämtlich gemeinsam waren: einmal besaßen die Abgereisten ihre Stadtrechte seit mindestens fünf Jahren, genossen den Status der Ansässigen, in keinem Fall den von Flüchtlingen (Umsiedlern); zum anderen hatten die männlichen Haushaltsvorstände ohne Ausnahme in den Arado-Werken Gneez-Brücke gearbeitet. Die Arado-Werke waren ein Kriegsbetrieb der Sonderstufe gewesen, unter anderem wegen der Raketenteile für die Heeresversuchsanstalt Peenemünde. Das andere, die Vorfertigungen für den Strahlbomber Ar 234, das Ding mit den vier Düsenmotoren B. M. W. 003, bleibt unter uns. Die Schlußfolgerung, die Demontage der Einrichtungen und die Inhaftierung der Arbeiter sei aus kriegsrechtlichen Gründen logisch erfolgt, muß als überhastet zurückgewiesen werden. Es konnte nicht Sinn der Aktion sein, dem von den peenemünder Raketen geschädigten Großbritannien eine moralische Gefälligkeit zu erweisen, da die Siegermächte sich für Demontagen oder Reparationen jeweils die eigene Besatzungszone zugewiesen hatten und, wie hervorgehoben werden sollte, die Briten während ihrer vorläufigen Regierung über Westmecklenburg Konstruktionsunterlagen des Arado-Werkes Gneez als Kriegsbeute für eigenen Gebrauch beschlagnahmten, ja daß diese kapitalistische Räuberbande sich nicht scheute, Angehörige des Werkes mit wissenschaftlicher Ausbildung zum Mitkommen zu bewegen, als sie ihr mecklenburgisches Territorium gegen den britischen Sektor von Berlin auszutauschen gezwungen war. Weiterhin, in der Nacht vom 21. zum 22. Oktober wurde in Gneez-Brücke nicht demontiert, da auf Grund des Befehls Nr. 3 der S. M. A. vom 25. Juni 1945 sogleich nach dem Einmarsch der Roten Armee in Gneez, am 5. Juli 1945, die Maschinen, Fließbänder, Kühlanlagen etc. der dortigen Arado-Werke abgebaut und in die Sowjetunion verlagert worden waren. Bei diesem Punkt kann nicht genug gewarnt werden vor einer Aufwärmung des Schauermärchens, im Hof des Postamts Gneez seien Telefonapparate mit Mistgabeln auf Heeresfahrzeuge gestakt worden, und was dergleichen Arbeitsbeschreibungen mehr sind. Die Demontage von Gneez-Arado ging vor sich unter

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