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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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nach dem russischen Vorbild. Für Alexander Dubček jubelten die Zuschauer, dem Genossen Ulbricht erwiesen sie ein Schweigen, und wiederum haben die Mannschaften gespeist an getrennter Tafel. In einer dreispaltigen Lebensbeschreibung erwähnt die Chronistin der Welt einen Wortwechsel aus dem Jahre 1957 zwischen »Walter Ernst Karl« Ulbricht und einem Genossen Gerhart Ziller. Der Untergebene: Während wir in Konzentrationslagern waren, hielten Sie Reden in Rußland; Sie waren immer in Sicherheit. Der Vorgesetzte: Was Sie da gesagt haben werde ich nie vergessen; wir besprechen das später. Der Untergebene: (geht nach Hause und erschießt sich). An diese Erzählung haben wir ein längliches Fragezeichen gehängt, da wünschten wir jemand um Auskunft anzugehen für unsere Zweifel; bis sich als Gegenwart die Erinnerung meldete an den Ort, an dem er nunmehr sich aufhält.
    (Das gestrige Telegramm aus Helsinki: SELBER ZU SCHREIBEN UNFÄHIG – ERITZION .)
    Die Angestellte Cresspahl hat ihrer Tochter nun eingestanden, daß sie bis zum nächsten Dienstag tun darf, was ihr beliebt; Marie hat zögernd verzichtet auf die militärischen Schwimmübungen in ihrem Ferienlager. Gestern sind sie nach Chicago gereist; weil es doch nur mehr eine Stunde dauert in der Luft. (Weil am Telefonanschluß Cresspahl in New York unbekannte Männer tun wie bekannt und dringlich fragen nach einer Vermißten Person; auch weil man deren zweifelhaften Abgang zu melden unterlassen habe.) Marie gefiel es, daß die Gäste bei dieser Stadtbahn der Luft schlicht eine Nummer ziehen und erst an Bord bezahlen bei einer Stewardess, die ist mit Geldtasche vor dem Bauch verkleidet als Schaffnerin. In Chicago sind wir mit den klappernden Zügen auf der Schleife um die Innenstadt gefahren. Wir haben das Hotel gesucht, in dem wir 1962 wohnten wie eine Fürstin mit Infantin; abgerissen. In den Rundtürmen der Marina City am Chicago Fluß besichtigten wir eine Musterwohnung, als wollten wir einmal da leben; im Fahrstuhl ein Herr in italienischer Jacke, der zwinkerte vertraut. Marie meinte, so geht es zu, wenn eine Dame einen Antrag bekommt; gewiß war er von einer anderen Gesellschaft. Und damit das Telefon tagsüber ins Leere klingelt hinter der verschlossenen Tür der Cresspahlschen Wohnung, ist dieser Dienstag gerade recht für einen Ausflug auf die Insel Rockaway im Atlantik, mit der Ubahn in länger als einer Stunde zu erreichen; die einzige Strecke, wo ein zweiter Jeton zu entrichten ist.
    Hier haben wir ein Kind, dem steht die Reise in sieben Tagen ungemütlich bevor, dem ist das Land zu fremd, das hätte sich lieber noch besprochen mit einem Herrn, zur Zeit unerreichbar an der bottnischen Ostsee. Nun muß eine Verköstigung her, ein Vorgeschmack; der lange aufgesparte für Notzeiten. Ob Marie wohl weiß, daß Jakob im Herbst 1955 Briefe geschrieben hat aus Olmütz, Olomouc, wo er auf dem hl. n. die Betriebstechnik des Dispatchens einübte, am Eisenbahnkilometer Nr. 253 von Prag aus?
    Der Zug zu den Stränden von Rockaway ist gleich in Brooklyn dicht bestanden. Die Neger unter den Fahrgästen reisen alle weiter als bis zur Vierundvierzigsten, und tatsächlich ist der weiße Strand bis zur Sechzigsten nur belegt mit Rosahäutigen, die liegen zu Paaren auf den Decken. Die Männer halten die Hände still auf den Rücken der Mädchen; einfallslos sieht es aus. In der Subway hatte ein junger dunkler Mann seine dösende Freundin in die Seite gestoßen, sich ihren Kopf auf die Schulter gekippt; während sie behagliches Zurechtkuscheln vortäuschte, entschädigte er für seine Güte sich mit dem Befühlen ihrer Oberschenkel.
    – Jakob hat einmal gearbeitet, wo wir sein werden? Sehen wir uns das an?
    Das sehen wir uns an in zehn Tagen, wenn es paßt. Wir suchen eine Familie, mit zwei Töchtern, die werden aus dem Haus sein inzwischen; Feliks und Tonja; die werden uns an Jakobs Namen erkennen. Da hat Jakob gelebt en famille; den Anfang des Tages erzählt: am Morgen sei da nur ein umfängliches, schwarzblau ausgetuschtes Fenster gewesen, davor eine dickbauchige Lampe, die suchte eine plumpe Beule in die auswärtige Dunkelheit zu drücken, über einem weißen, friedlichen Tischtuch. Daran mit dem Gast aus Mecklenburg der Hausherr, noch schläfrig, aber bekannt mit den Arbeiten des Tages und gewiß, sie zu bewältigen. Vorläufig wartet er mit verhehltem Genuß, welche von den Töchtern die erste sein wird. Heut am Morgen von Jakobs Brief war es die jüngere, gerade

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