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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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gefährlich; hemmt seine Unabhängigkeit. Sie selber haben da ein Wort für illegale Betätigung gebraucht und sich verraten, Mrs. Cresspahl.
    »Sie bedürfen des erheblichen Mutes, auf Sicherungen verzichten zu wollen, obgleich das nach den Erfahrungen Ihres Lebens aussehen könnte wie Fahrlässigkeit. Sie würden Zeit gewinnen, bedienten Sie sich dabei eines – ich weiß, es schwebt Ihnen auf der Zunge – ›head shrinkers‹. Dieser Kopfjägervergleich geht aber weniger auf die Kosten meiner amerikanischen Kollegen, als auf die Ihren, weil Sie selber durch die Anspielung sich hindern, sich eines ärztlichen Dienstes zu bedienen, der Ihnen zu mehr zeitgemäßer innerer Sicherheit verhelfen könnte. Ein solcher Versuch wäre harmlos; Sie dürften ihn jederzeit abbrechen. Mit freundlichem Gruß Ihr A. M.«
    Was er deutlich ausgelassen hat: ein Bedenken wegen Unfähigkeit zur Arbeit. Nach meinem brieflichen Betragen bin ich noch gerüstet für eine Arbeit in einem Ausland, in Prag.
    »Sehr geehrter Herr Professor, in einiger Beschämung ist mir unerfindlich, wie Ihnen zu …« Das geschieht dir recht, Gesine Cresspahl. Du hast um etwas Schwieriges gebeten, nun quäl dich am Bedankmichbrief. In drei Wochen hast du ihn geschrieben!
    Zum Frühstück die Nachrichten der New York Times aus Bonn: die Westdeutschen haben es sich überlegt wegen des Vertrags, den sie geerbt haben vom 29. September 1938, als die Herren Chamberlain, Daladier und Mussolini das Sudetenland an Herrn Hitler verschenkten. Bisher hat es heißen sollen: »nicht länger gültig«. Nunmehr bekommen vielleicht die Leute der Č. S. S. R. ihren Willen und eine Unterschrift zu der Formel: »von Anfang an ungültig«.
    In Prag ist nach dem Marschall Tito der Präsident von Rumänien zu Besuch, und Nicolae Ceauşescu beschreibt wie man es macht: ein kleines kommunistisches Land, solange es militärisch eingebunden bleibt, darf durchaus Kredite in konvertierbarer Währung begehren. Wenn am Tage nach Übermorgen die Abgesandte einer new yorker Bank auftritt in der Hauptstadt eines kleineren kommunistischen Landes, was ist denn dabei.
     
    – Nun die Studentin Cresspahl an einer westdeutschen Universität: bestellt Marie sich, sobald sie das Losmachen der Fähre zu seinem Ende beaufsichtigt hat. – Stud. phil. G. C. an einer Universität … wie heißen die in Westdeutschland?
    – Eine war benannt nach Johann Wolfgang von Goethe, stand in Frankfurt am Main und war gesonnen, dies Zweitsemester aus Halle an der Saale einzuschreiben im Englischen Seminar. (Weißt: weil ich einmal immatrikuliert war. Anitas Abitur galt wenig im Westen von Berlin; die mußte es ganz und gar »nachmachen«.) Als ich die Gebührentafel sah, gab ich auf.
    – Dein Vater hatte westliches Geld! ein paar Tausend Pfund auf der Surrey Bank of Richmond, mit den Zinsen seit 1938!
    – Gegen Cresspahls Willen war ich weggegangen aus seinem Land, von ihm. Wie unvernünftig werd erst ich sein, wenn du mich verläßt! Und er durfte leicht denken, sein Guthaben sei beschlagnahmt als feindliches Eigentum.
    – Dein Vater wollte dich strafen.
    – Mit Strafe hätt er gehofft, die Tochter zurückzuholen. Nein, die sollte ihren Willen haben und danach leben. Und was das Akademische anging, so hatte sie sich durchschaut.
    – Finde ich schade.
    – Dr. Gesine Cresspahl, wie sieht denn das aus.
    – Prof. Cresspahl, hört sich erträglich an für mich.
    – Ja, mit Marie als Vornamen! werde du doch Professor.
    – Das werden wir ja sehen, Gesine.
    – Was kann man arbeiten mit abgeschlossenem Studium der Anglistik?
    – Lehrer.
    – Das Verlangen nach einem solchen Beruf war mir ausgetrieben auf der sozialistischen Oberschule von Gneez. Vor einer Klasse stehen mit dem Wissen, etwas zu verschweigen, von den Schülern des Lügens verdächtigt; mir wollt ich es ersparen.
    – In einem freien Lande durftest du lehren was du wolltest.
    – In der Grammatik, in der Metrik, in den Formen gewiß. Aber keine Betrachtung des Inhalts mit jener Art von Dialektik, die mir eingeleuchtet hatte, 1953! Überhaupt wollte ich bloß die Sprache.
    – Deines Vaters wegen.
    – Wollt ich mir das aufdröseln lassen von einem head shrinker … einem psychoanalytischen Kopfjäger, wir könnten nie mehr Ausflüge machen nach New York über Frisco und Louisiana. Mir genügte eine Dolmetscherschule, und stehe sie am linken Ufer des Rheins in einem Talgraben, da sieht es bei Nebel aus wie Flandern nach der Schlacht. Wo die

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