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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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Schuhabsätzen handelte oder den Arbeitern die Butter abwog in Fetzen zu 20 Gramm, allesamt waren sie gewiß, ohne sie liefe die Versorgung der Bevölkerung noch übler. Keine in unserer Schulklasse hatte es ausgesprochen, fast von Anfang an dachten wir uns geteilt als Einheimische und Flüchtlinge. Die Erwachsenen verlängerten den Unterschied bis zu alteingesessener Bürgerschaft und zugelaufenem Pack; zwar auch weil die dekorativen Holzarbeiten der Sudetendeutschen und Ostpreußen Kleingeld wegnahmen von ihrem Markt. Die hatten ihren Besitz fast ganz zurücklassen müssen; bei den rechten Leuten in Jerichow hatten plündernde Sowjetmenschen noch lange nicht alle Stücke aus Gold oder Gemälde in Öl gefunden, die konnten sie in größerer Not beim Rasno-Export der Roten Armee umtauschen in Zigaretten, die wiederum in Butter oder einen zweimal getragenen Bleyle-Anzug, der einem Flüchtlingsjungen verblieben war. Sie hatten einander selten aus den Augen verloren, so übersichtlich war selbst Gneez; nun fanden sie von neuem zusammen, so in konservativen Parteien, wo sie den Nachtwächterstaat besprachen oder einen künftigen Anschluß an ein skandinavisches Land. Sogar Mecklenburg als eine Provinz hatte die revolutionäre Rote Armee ihnen belassen; der störende Zusatz »-Vorpommern« wurde durch das Gesetz vom März 1947 beseitigt, so daß die nun weniger zu sagen hatten und eigentlich gerechnet werden konnten als ein Gewinn für Mecklenburg. Land Mecklenburg. Im Artikel I .1, Absatz 3 der neuen Verfassung waren die Landesfarben bestimmt: Blau/Gelb/Rot. Das Hergebrachte, wer ficht das an.
    Sie zeigten obendrein, was sie von sich hielten. Johannes Schmidt Erben in Jerichow mochte der S. E. D. schließlich seine Lautsprecher ohne Gebühr für Wahlkämpfe überlassen; Wauwi Schröder, ebenso Musikalien und Elektro, jedoch in Gneez, er hatte zwei Schaufenster, in dem einen hing bis Februar 1947 ein Schild in Zierschrift, mit Goldleisten gerahmt: Wir rechnen uns an als eine Ehre,
    jetzt und hinkünftig
    der Roten Armee und der ihr verbündeten Partei
    unsere Verstärker im Dienste der antifaschistischen Sache
    sowie auch ohne Rechnung zur Verfügung zu stellen,
    mit dem Zusatz:
    Das am 19. September in Vergessenheit geratene Mikrofon betrachten wir als ein Zeichen unseres guten Willens.
    Dazu zwei mittlere Töpfe Azaleen. Nach der nächsten Großkundgebung, anläßlich der moskauer Außenministerkonferenz vom 24. April, montierte Wauwi sein Mikrofon zusammen mit den übrigen Kabeln ab und ersetzte die Schrift im Schaufenster durch den neuesten Ausspruch des dienstältesten Funktionärs, die S. E. D. werde nach wie vor jede Veränderung der Grenzen ablehnen. Solche gönnten den Flüchtlingen ja die Rückkehr in ihr Land jenseits der Oder und Neiße; wären sie nur endlich wieder unter sich.
    Sie fanden einander in einer Provinz, die sie für ihre angestammte hielten: in den kulturellen Veranstaltungen. Regelmäßige Tischsitten, Nuancen in Grußformeln, abgestimmte Kleidung, dies verstand sich von selbst. Wie aber wäre einem Farbenhändler Krämergeist nachzusagen, der fast keine Veranstaltung des Kulturbundes (z. d. E. D.) ausläßt, und mag sie der Auslegung eines Gedichtes von Friedrich Hölderlin oder so ähnlich gelten? Die alten Familien von Gneez hatten mecklenburgische Stücke gesammelt, nicht nur die fünf Bände Lisch oder das Jahrbuch, auch Gläser, Scherenschnitte, Truhen, Portraits altväterischer Bürgermeister oder Ansichten des Doms vor dem unerklärlichen Zwischenfall vom Sommer 1659. Sie hatten fast einmal ausreichend zusammengelegt für einen Auftrag an den Bildhauer Ernst Barlach, er möge ihnen ihr genierliches Wappentier in einer recht würdigen Gestalt abbilden, in Bronze; es war dann wegen der Streitigkeiten mit den güstrower und berliner Nazis dazu nicht gekommen. Gneez war kein Güstrow. Sie hatten die den Nazis ungenehmen Bücher ein wenig nach hinten gestellt in den Vitrinen; einmal waren solche Gedichte um 1928 der dernier cri gewesen, schlicht unerläßlich für die Selbstachtung, auch war ja ihr künftiger Geldeswert vielleicht bloß vorläufig zu verachten. Gneez hatte seinen Schriftsteller gehabt! zwar geboren als Tagelöhnerjunge auf dem Gut Alt Demwies, seit seiner Verfrachtung in die Domschule auf Magistratsstipendium vom elften Lebensjahr in Anspruch genommen von der guten Stadt Gneez in Mecklenburg. Einen Band Gedichte, zwei Romane hatte der zuwege gebracht, bis er vor den

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