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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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Nazis aus dem Lande laufen mußte; schon unter der britischen Besatzung hatte der Rat der Stadt beantragt, die Wilhelm Gustloff-Straße neu zu benennen zu Gunsten von Joachim de Catt, auch dem Dreifachen J war als Ausweis für de Catt die Emigration ausreichend erschienen. Nu vot, ungewöhnliche Gesetzgebung erfordert ungewöhnliche Gesetzgebung. Počemu njet? Možno. Imejem vozmožuostj. Zwar hatte »unser Dichter« noch nicht wieder den Weg gefunden in seine stolze Vaterstadt, weder in Person noch brieflich. Kam er einmal zurück aus seinen transatlantischen Gefilden, sollte in Gneez vergeben sein, was 1931 an Ähnlichkeiten im Portrait einer kleinen mecklenburgischen Stadt ein wenig ärgerlich gewesen war, Gneez fand sich kaum klein; sein Jubelfest sollte er kriegen, vorerst hatte Herr Jenudkidse schon den zweiten Rezitationsabend zu Ehren von J. de Catt genehmigt. Da fanden sie einander, nicht bloß in den Vorträgen von Frau Landgerichtspräsident Lindsetter, die öffentlich ihre Erinnerungen an die Mangelrezepte des Kriegsjahres 1916 vortrug. Die Kirche gehörte dazu, die Religion war gewiß eine Schicklichkeit; bei abendlichen Orgelkonzerten war der Dom praller gefüllt als zu den Gottesdiensten. Wohl war es erhebend und unschädlich, was Superintendent Marjahn predigte; geriet er bei den großen Festen nur ein wenig ins Schwimmen, so klangen ihm hinterher gewiß die Ohren von den Schimpfreden der pflichtbewußten Damen, die mit der Schürze vor dem Festtagskleid eine Gans zu spät aus der Röhre holten oder mit dem Karpfen ins Hintertreffen kamen. Im Hungerwinter 1946. Die waren übrig geblieben. Wenn Herrn Dr. Kliefoth die Wohnung ausgeräumt worden war, so blieb das erst mal sein Pech. Überdies hatte er sich 1932 das Nest Jerichow zum Wohnen ausgesucht, statt der Bürgerstadt Gneez, die über die Jahrhunderte nicht weniger als zwei Chroniken aufzuweisen hatte. Dennoch würde man ihn wohl oder übel aufnehmen müssen in die alte Gilde, promoviert, Studienrat, Oberstleutnant des Heeres, sonderbar respektiert von den sowjetischen Behörden; der kam nicht. Låt em. Murrjahn wier’n bösn Hund, œwe tauletzt müßt hei sick doch gewn.
    Das Cresspahlsche Kind, obwohl Fahrschülerin aus Jerichow und wegen des verhafteten Vaters heikler Umgang; die feinen Familien rechneten sie gern als zugehörig. Diesen Cresspahl hatten immerhin die Briten zum Bürgermeister ernannt, nicht die Sowjets. Was für einen schmucken schwarzen Mantel die trug. Die hielt auf sich, ließ nicht bei Flüchtlingen arbeiten, sondern bei Helene Rawehn am Markt. Und ganz wie der Anstand nun verlangte, ging sie zur Tanzstunde.
    »Herr Jenudkidse« nannten sie ihren Kommandanten, auch ins Gesicht hinein. An ihren guten Formen sollte es nicht fehlen. Leider erfreute er sich derer auch. Auf Höflichkeit dachten sie ihn nunmehr fest zu verpflichten.
    Es gab Ausnahmen, die wurden bezeichnet nach dem Sprichwort von den Spuren dessen, was Einer angefaßt hat. So wurde Leslie Danzmann bei Knoops, bei Marjahns, bei Lindsetters eine düstere Zukunft vorausgesagt, als sie auch mit den neuen Ämtern noch sich einließ. Leslie Danzmann, alte mecklenburgische Familie, englische Großmutter, Witwe eines Kapitänleutnants, eine Dame. Kam gegen Mitte des Krieges an im gneezer Winkel, mietete eine der modernsten Villen dicht an der See, lebte völlig comme il faut als Hausdame eines Herrn, der etwas zu tun gehabt hatte mit dem Reichsluftfahrtministerium in Berlin. Vergab sich nichts. Erste Klasse. Dann waren in Gneez die aufgefallen, die immer noch Tennis spielten; auch Leslie Danzmann wurde dienstverpflichtet, ans Arbeitsamt. Höhere Gewalt. Mußte sie danach wieder zu den Sowjets gehen und um Arbeit einkommen in ihrer Verwaltung? Daß Eine nichts besitzt als eine verflossene Pension und nie eine solide Arbeit gelernt hat, Klavierunterricht oder Arztgattin, was soll denn das für eine Entschuldigung sein! Gewiß war auch sie ein wenig in Haft genommen worden, in der Cresspahlsache, komisch, nich? hatte sie sich das dienen lassen als Warnung? Nein, die gute Danzmann hatte sich wiederum den Sowjets angeboten. Den Kindern sagt man: Geh da nich so dicht ran. Nun war sie reingefallen, entlassen aus dem Wohnungsamt, mitten hinein in die Fischkonservenfabrik. Konnte die sich doch denken, daß der Genosse Leiter des Wohnungsamtes sie einlädt in die Partei. Weiß sie keine andere Antwort: Aber was sollen die Nachbarn von mir denken, Herr Jendretzky! Sie hatte es

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