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Jahrestage  4. Aus dem Leben von  Gesine Cresspahl

Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johsohn
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Nur, sie hatte ihren akademischen Grad erworben auf einer Universität statt durch Heirat, sie war in vielen Ländern umhergekommen durch ihres Mannes Gefälligkeiten für die Abwehr, sie mag recht wohl den Band Some Figs From Thistles von 1922 besessen haben, und wahrhaftig ließ sie dem Gasthörer aus dem Sowjetlande jenes Fährgedicht vortragen mit der schädlichen, der systemreformistischen Botschaft, wenn überhaupt einer; Kriecherei verbat sie sich wie ihren Schülerinnen, wie Leslie Danzmann wollte sie sich halten als Dame. Das Kind Cresspahl bekam seine fürchterliche Niederlage.
    Wann hest du’t markt, Gesine?
    Oh Cresspahl. Dat kannst mi nicht vegætn!
    Ick vegæt di dat. Segg an.
    Ierst harr’k em nich seihn. Denn wüsst ick, he har de ganze Tied nich rædt. Hei seech so stumm ut. As ick farich wier, sä hei wat in Inglisch tau de Weidling. Nu wusst ick: Dat wier’n Russn.
    War nich schlimm, Gesine.
    Ja, für mich. Zum ersten Mal konnte ich gewiß sein, du lebst. Aber ich hab uns verraten. Mußtest du noch ein Jahr wegbleiben im Lager Fünfeichen.
    Ach wat, Gesine. Der sollt man bloß nachprüfen, ob ich würklich mal in Inglant war lange Jahre.
    Und ob sie dich zurückschicken konnten nach Süd-London mit einem Kind, das fällt wegen der Sprache bald gar nicht auf.
    Ja, Gesine. Das Englisch von Richmond hättst du noch lernen können.
    Wärst du für die Sowjets nach England gegangen?
    Für dich, ja. Das wollt ich dich fragen, sobald sie mich rausließen zu dir.
    Das kommt nun bald. Dann sag ich wieder das Falsche.
    Mi tau Leiw, Gesine.
    30. Juni, 1968 Sonntag
    Der Oberst Emil Zátopek, der selbe, der uns seit seinem Sieg über 5000 Meter beim Internationalen Militär-Sportfest Anfang September 1946 im berliner Olympia-Stadion hingestellt wurde als ein musterhaftes Beispiel für die Verbindung von Humanismus und Sport unter sowjetischer Aufsicht,
    Emil Zátopek, der sich jene zweitausend Worte an alle Leute in seinem Land gewünscht hat, er versteht nun nicht den Ärger der Partei über den Wunsch, es möchten die Schuldigen endlich behandelt werden als Schuldige. – Daran seh ich nichts Konterrevolutionäres: sagt er. Er sagt: Allen Unterzeichnern des Aufrufs geht es um den raschen Aufbau des demokratischen Sozialismus und die Freiheit des Menschen. Sagt er.
    Er ist da nicht allein; ähnlich redet die Zemědělské Noviny, die Zeitung der Bauern, auch die Mladá Fronta, die kommunistische Jugendzeitung der ganzen Č. S. S. Republik. Und eben der Tischlerssohn, Träger einer goldenen und einer silbernen Medaille von den Olympischen Spielen 1948 zu London, Meister der Intervall-Methode, Vorbild nicht nur der Streckenläufer, ein Jahr lang lebendes Modell für die Sowjets auf der Krim, drei Goldmedaillen auf den Überflüssigen Spielen 1952 zu Helsinki, für Läufe über
      5 000 m
in
    14 : 06,6
10 000 m
in
    29 : 17,0
42 200 m
in
2 : 23 : 03,2;
    Inhaber von insgesamt 19 Weltrekorden, Leiter des tschechoslowakischen Militärsports seit 1958, zum Sportler des Jahres in seinem Land gewählt noch 1966, wohnhaft Prag, nahe Hauptbahnhof, Am Leihhaus 8, die tschechische Lokomotive, der auch: Emil Zátopek.
    In die Konfirmationslehre von Pastor Brüshaver bekamen die Absens mich nur für zwei Stunden, da setzte er mich schon vor die Tür; Unterricht im Tanzen mußte ich nehmen, wöchentlich zwei Nachmittage im gneezer Hotel Sonne hinterm Landratsamt, im Frühjahr 1947, weil im Winter Feuerung wie Tageslicht nicht gereicht hätten. Zeit zu Schularbeiten verlor ich, kam mürrisch nach Jerichow mit dem Abendzug, da verschlug meine maulende Miene weder bei Jakob noch vor seiner Mutter, das Kind bekam seine Richtigkeit. Tanzstunde.
    Sie sahen es in Jerichow, Jakob in Gneez bei seinem Umschulerkurs: vom Bürgerlichen sollte etwas übrigbleiben. Ihnen galt ich als ein bürgerliches Kind, mochte mein Vater verschwunden sein oder einer meiner Onkel ein unbeschreiblicher Verbrecher; fast war es, als hätten sie mich zu vornehmer Erziehung in Auftrag genommen. In Jerichow wie in der Kreisstadt sahen sie die feine Gesellschaft ungeschoren, ausgenommen die man mit Waffen in der Sowjetunion ertappt hatte, oder in Karteikästen der Nazipartei, oder mit adligen Besitztiteln und zu gewinnträchtigen Geschäften mit dem vergangenen Reich. Oder auf Zetteln ohne Unterschrift. Die anderen beließ man in dem Glauben, sie würden noch gebraucht; sie selber waren dessen sicher. Ob Einer mit

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