Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
ziemlich richtig getroffen mit den Gedanken der Nachbarn; stellt sich hin, spricht das aus. Bringt man doch schon den Kindern bei: Sagt man doch nicht. Nun kam sie jeden Arbeitstag morgens zu Fuß von der See, mit dem Milchholerzug nach Gneez, steht bis abends an einem stinkenden Tisch, nimmt Flundern aus, kocht Brühe. Nein, sie klagte nicht. Darin gehörte sie noch dazu. Wie Frauen in der Fischfabrik reden, eine Hausfrau von Welt denkt sich das leicht. Was sie für den weiblichen Geschlechtsteil sagen, das weiß man. Das kleidet eine gebildete Dame jedoch nicht in Worte. Von dem, was vor sich geht, wenn eine Frau, eine verheiratete, wenn die sich freiwillig hinlegt, mit einem Mann, davon sprechen sie als –––––. Sind eben Arbeiterinnen, nich? Was ein scheußliches Wort, übrigens. Apropos, wenn Ein’n so’n büschn ginauer über nachdenkt, vleicht is es gaa nich so schlecht angemessen. Ein solches Wort kommt mir nie über die Lippen, Frau Dr. Schürenberg! Das hatte Leslie Danzmann nun davon. Wenn Eine sich erziehen läßt zu den bürgerlichen Formen und will so leben und die Sachen sollen bloß an sie rankommen, wenn sie will, denn soll sie nicht dahin gehen, wo sie rausgeschmissen werden kann in die Fischfabrik! Und zeigte sie wohl nachbarliches Mitgefühl, diese Leslie Danzmann? Sie war da doch ganz dicht dran an dem Fisch, konnte sie nicht mal was mitbringen? so als kleine Aufmerksamkeit? Tat sie nicht. Wenn sie von der Arbeit überhaupt sprach, lobte sie die Proletenfrauen. Die sollten ja gutmütig sein. Angeblich halfen die ihr. Da war eine, Wieme Wohl aus dem Dänschenhagen, stadtbekannt, die hatte mehr als einmal zum Arbeitsschluß gesagt, vor der Taschenkontrolle: Du, Danzmann, komm her, hier hast’n Aal. Bind ihn dir um den Bauch. Wenn dich das ekelt, mach ich dir das. Is doch bloß für zehn Minuten, Danzmann! Nu sei doch nich so stolz … Die Danzmann war fest geblieben. Es sei nicht von wegen Stolz. – Kinnings, das gehört mir doch nicht! Das ist doch nich meins! Die Frauen hatten ihr zugeredet. Leslie wollte am Ende auch glauben, daß Fisch, besonders Aal, gar nicht in die Ladengeschäfte komme, sondern in die geschlossenen Verteiler von Roter Armee und Partei; das fiel ihr leicht, das sah sie. Dann war sie dabei geblieben: der Aal gehöre ihr nicht. So ging es Einer, die sich fallen ließ aus den Sitten von Anstand und Eigentum!
Cresspahls Kind ging nicht gern zur Tanzstunde. Sie tat das aus Gehorsamkeit gegen Frau Abs.
An solchen Nachmittagen war sie in Gneez zusammen mit Lise Wollenberg. In den Stunden hießen sie die Helle und die Dunkle aus Jerichow, für fremde Jungen. Den Unterricht erteilte Franz Knaak, ein Mensch aus hamburger Familie, außer einem alle örtliche Tanzpädagogen, seit 1847. Dieser war fett, sprach gern Französisch, nasal; auf seine mechanischen Manieren war er so stolz, daß er sich mit müden braunäugigen Blicken hinwegtrösten konnte über seine umfängliche Leiblichkeit. Er lehrte vorerst altdeutsche Tänze, Kegel, Rheinländer, sämtlich mit Hinweisen auf das Erbe unserer Väter, statt etwa sowjetisches. Auf den Schieber ließ er sich erst ein nach allgemeinen, fast ungestümen Bitten; diese Art der Bewegung machte er vor in einer schmierigen Art, daß man für den Rest seines Lebens einen Ekel davor bewahren sollte. Er trug so etwas wie einen Gehrock, seifig im Nacken, davon hielt er die Säume mit jeweils zwei Fingern erfaßt und trat die Schritte der Mazurka zum Beispiel mit schwächlich federnden Beinen. Was für ein unbegreiflicher Affe: dachte Gesine Cresspahl in ihrem Sinn. Aber sie sah wohl, daß Lise, die schöne, die lustige, die langbeinige Lise die Sprünge Herrn Knaaks mit einem selbstvergessenen Lächeln verfolgte; Lise wußte in allem so Bescheid. – Wie willst du denn einen Mann kriegen, wenn du nich tanzen lernst! hatte sie gesagt, und an der Längswand des Saals hingen auf abgewetzten Plüschstühlen die Mütter, darunter Frau Wollenberg, und tupften sich die Augen. Sie sah das nicht ein. Damit wollte sie keinen Mann kriegen. Sie wußte schon einen, der ging mit einer anderen tanzen.
Ihr Mantel hatte von schwarzer Farbe sein sollen, weil sie Trauer tragen wollte um ihren Vater, beileibe nicht weil er wohl gestorben war, bloß zu seinem Andenken. Das gehörte sich. Das wußte sie. Das aber war eine Sache, die auszusprechen war unschicklich.
An den Abenden nach der Tanzstunde traf sie fast immer Leslie Danzmann auf dem Bahnsteig. Sie
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