Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
(»wie’n Kint«), war es doch eher, daß er zum weißen (oder »persönlichen«) Propusk, der Voraussetzung für Fernfahrbefehle der Hauptfahrbereitschaft, einschließlich Grenzverkehr, noch einen bekommen hatte, den roten, die Fahrgenehmigung für die ganze Sowjetzone, einschließlich Grenzverkehr! War doch uralte Erfahrung: wenn das Heer einem Tunichtgut erst einmal die Hammelbeine langgezogen hat, weiß er fürs Leben, wo’s langgeht. Siehst auch an sein’ kurzen Haarschnitt. So knapp schwarz und adrett. Und Emil hielt nie ganze Lokale frei; er bezahlte nur für die, die seiner Liebe wert waren. War gemütlich, ihn erzählen zu hören, nicht etwa vom Geschäftlichen, sondern aus seinem Leben: wie er im September 1939 bei Cuxhaven zwei Viscounts abschoß und die Beisetzung der Besatzung mit militärischen Ehren versah. Wie er im »Brückenkopf Weichselmündung« entdeckte, daß dort ein Konzentrationslager namens Stutthof unterhalten worden war, weswegen auf seinen Lastwagen geschrieben stand: »Stutthof bleibt deutsch!« Persönliche Erinnerungen eben. Und nun wußte man endlich, bei welchem Wetter er am 9. Mai 45 über die Ostsee nach Kiel geschippert war: ruhige See an jenem Tage. Wozu einen Hans im Glück beneiden? immer war sein Interzonenpaß in Ordnung, zuverlässig war er freigestellt durch lokale Fahrbereitschaften, die D. W. K. empfahl ihn nicht nur, sie wies ihm noch die legale Benzinbeschaffung nach. Niemand neidete ihm seinen Chauffeur, seine 250 Pfund Lebendgewicht. Er wirkte so beruhigend. (An seine schwarze kastenähnliche Aktentasche ging keiner; die war zu voll mit gefährlichem Geld.) Wenn er wirklich einmal hineinfiel beim Verschieben von Pferden nach Niedersachsen, die Bierfässer mit »Uran« wurden an der Grenze beschlagnahmt, er lachte sich ja krank beim Nacherzählen. Er galt als treue Seele. Einmal kam er aus der großen Welt des Stahlhandels zurück nach Gneez, da waren die Kartoffeln auf dem staatlichen Gut noch nicht raus. Er versprach für jeden am Wagen abgelieferten Korb fünfzig Mark. Am Abend waren die Wagen zum Rand gefüllt, und er gab den Arbeitern ein Fest. Die Kartoffeln konnte er recht gut brauchen, er nahm auch Kroppzeug mit. Und wie hat er geweint, als Dr. Schürenberg ihm von den Krankheiten der Schulkinder einen Begriff gab. Die chinesische Bettlerkrankheit hatten sie, vom Melde-Essen? das konnte Emil gar nicht vertragen, er benötigte gleich einen dreistöckigen Schnaps. Was –? an Scabies litten sie? das unter Emils Augen! Dr. Schürenberg enthüllte ihm nicht, daß der Ausdruck die gewöhnliche Krätze bezeichnete; er schilderte ihm den Vitaminmangel. Die Kinder schlugen sich mit den scharfen Kanten der Holzsandalen die Knöchel kaputt, immer von neuem, das gebe dann Entzündungen der Lymphbahnen, gräßliche Schmerzen in der Leistengegend. Er habe die Tochter von Cresspahl (– ook’n goden Minschen: röhrte Emil, in Tränen) am Bahnhof gesehen, die konnte bloß gehen wie steifbeinig, so weh tat ihr das. – Cresspahl? sagte das Dreifache J, der Stadtkommandant J. J. Jenudkidse. Denn sie weilten im Dom Offizerov, Gäste des Dreifachen J. – Ich schwör! rief Emil, schluchzend. Es war kurz vor Weihnachten 1947. – Jedem Kind eine Apfelsine: sagte Dr. Schürenberg. Denn er war ein studierter Mann und wollte einmal dies unerhörte Renommee eines gewöhnlichen Handelsmenschen abschaffen. Und jedem, der arbeitet, einen Salzhering! schluchzte Emil. Gneez hielt ein bißchen den Atem an für die nächsten Wochen. Emil konnte immer zurück mit der Wahrheit, daß er fett gewesen war wie zehn Schafe mit Schachtelhalm im Bauch. Es geschah, pünktlich. Die Salzheringe kamen. Die Apfelsinen wurden in den Schulen und Kinderheimen und Krankenhäusern verteilt. Die Lastwagen dazu lieh das Dreifache J, weil Emil diesmal keine »flüssig« hatte (bei so kurzem Termin!), und Emil brachte zuwege, daß die Sachen in passender Menge geklaut wurden im Hafen von Hamburg. Längst hatte Gneez gelernt, an Emil zu glauben.
So sühnte dieser.
Und war unschuldig, denn er lief auf freien Füßen rum; das sah doch ein Kind. Und hat ihn gesehen in Pracht über Pracht. Für diesen bauten die Kommunisten im März 1948 die National-Zeitung, gewidmet den ehemaligen Mitgliedern der N. S. D. A. P. oder sonst Nationaldenkern, damit er warm werden könne in ihrem Deutschland, und wenn ihre Volkspolizei drei Wochen später alle westlich lizenzierten Presse-Erzeugnisse beschlagnahmte und den
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