Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
wohnt doch in den hunderter Straßen.
– Stäbchen für mich. Traut ihr euch, mit Stäbchen zu essen?
– Haben die Deutschen den … fertig gemacht?
– Das war eine Deutsche.
– Daß da Leute leben, die erinnern sich an Großeltern in Italien!
– Lebt bloß noch so. Ehemals Deutscher.
– God knows why.
– But he won’t tell, will he?
– de Catt mit Namen.
– Vertell, vertell.
– Du lüchst so schön.
Derweilen saßen die Wirtsleute am Nebentisch und taten wie wir. Wer da wem eine Schüssel, ein Besteck reichte, wir oder sie, das war gleich. Es war ein Zuhause. Bewacht wurden wir durch den Spalt der Küchentüre, von einem zehnjährigen Jungen, der wollte mit einer militärischen Strenge sehen, ob wir denn seine Eltern behandelten mit schuldiger Achtung. Marie war begierig auf ein Gespräch mit ihm, und leider ließ er sich von seiner Würde gebieten, sie gänzlich zu übersehen. D. E. wäre mit Vorliebe bei den Chinesen geblieben bis in die Nacht (und sei es, um den Jungen an unseren Tisch zu gewinnen), aber wir brachten die Frau Erichson in gefällige Erinnerung, damit ihm mit seiner Sohnespflicht die Post einfällt, die in New Jersey an seiner Zeit frißt. Um für ihn zu sorgen. Und als wir Abschied nahmen vor den drei Garagen unterhalb unseres Hauses am Riverside Drive, hat einer der Mechaniker, der Mittlere, Ron das Schwatzmaul hat D. E. verraten, er könne seinen Wagen nunmehr unbesorgt bewegen, der fahre nun noch einmal bis San Francisco und in einem Aufwaschen nach Tokio, denn es sei doch am Nachmittag eine Dame aufgetreten und habe eigens erinnert an den Auftrag zur Wartung. Ja. Wenn ihm recht sei, so sei es eben diese Dame gewesen, die in der Begleitung des Herrn, wie er sie nun abermals erkenne.
Wer zuletzt lachte, das war D. E., allein nach Westen unterwegs in seinem hochnäsigen Bentley. Still lachend allein in der Nacht. Denn er weiß wohl, zu welcher Zeit ich mein Bett aufschlage, und was ich unterm Laken gefunden habe. Es ist Králs Reiseführer durch die Čechoslowakische Republik von 1928. Damit ich dort heutzutage meine Wege finde, sollte mir je der Sinn danach stehen, wohlaufgemerkt nun denn also, Anita. Dann käme ich zurecht mit der Hilfe von J. Král, Privatdozent der Geographie an der Karls-Universität in Prag, denn D. E. hat mir seinen Beistand verschafft.
Liebe Anita. So verhält es sich mit uns. Unter über neben zwischen dem, was ich mir gewünscht habe mit fünfzehn Jahren und unbelehrt. Bin aber fünfunddreißig.
14. Juli, 1968 Sonntag
Tante Times bringt einen Leitartikel für jene, denen ein Ausflug aufs Land unerschwinglich ist. Gedenkt der Bedürftigen!
»Der blumenreiche Juli.
Mai, das sind die Stiefmütterchen, und Juni, das sind die Rosen, aber den Juli betrachten wir auf Anhieb überhaupt nicht als einen Monat der Blumen. Aber er ist einer, und vielleicht übersehen wir das gern, weil die Blüten so zahlreich am Wege stehen.
Die Minzen kommen nun in Blüte, vom unaufdringlichen Wolfstrapp bis zur königsroten Gartenmelisse, die die Kolibris und Hummeln so sehr anlockt. Das Springkraut öffnet seine beutligen gelben Blumen und seine gefleckte Art ist das bevorzugte Nektarium für die Kolibris, die vorübergehend an den Bergamotten übersättigt sind. Das Habichtskraut gedeiht üppig auf ungepflegten Weiden, in tiefem Orange und blassem Gelb, und dunkeläugige Susannen setzen jedem Fleck von Gänseblümchen lebhafte Akzente auf.
Hohe Wipfel großer Königskerzen öffnen sich nach und nach in kleine blasse Blüten, bedächtig im Flor wie sie es im Wachstum sind. Das kleine wilde Löwenmaul zeigt dunkles Orange und klares Gelb, und ihre großen Cousinen, die Schildblumen, öffnen groteske Münder, weiß und rötlich und gelb in cremebleichem Ton. Das tiefe Blau der rundblättrigen Glockenblumen und großen Lobelien verschießt zu Blaßlila in der kleinen dornigen Lobelie und im Indian Tobacco.
Der Juli ist so voll von Blüten, die Tage können sie nicht alle fassen. Die Abendprimeln müssen auf den späten Nachmittag warten, bis sie ihre strahlend gelben Blumen öffnen dürfen.«
© by the New York Times Company
Der Juli 1948, der Sommer, in der Erinnerung sind das die letzten Ferien der Schülerin Cresspahl, obwohl sie doch arbeiten gegangen war auf Johnny Schlegels Feldern, die zu großen Stuben gefaßt waren mit Hecken aus Hasel und Hainbuche, Schlehdorn und Weißdorn, Heckenrosen, Holunder und Brombeeren. Wenn wir in der Höhe von achtzig
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