Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
wüßte er etwas verläßlicher, wobei ihm aber seine Armbanduhr auffällt. – Wollen wir doch runterfahren? sagt er, drängend wie ein Schuljunge, als käme nun das große Schwänzen. – Uns das Theater wieder einmal betrachten?
So darf er es nennen; er hat es erfunden. Die Angestellte Cresspahl ärgert sich gehörig über den Verlust von einer ganzen Stunde Zeit, sie mag ihm keine Handhabe bieten mit Unhöflichkeit; schon ist sie an allen Fluchtwegen (Treppen, Toilettentüren) vorbeigeführt und sitzt in der zweiten Reihe vor dem Podium, vom Gang abgeschnitten durch de Rosny, der ein Bein übers andere so spitz verkantet hält wie ein Storch. Umgeben von seinen jungen Herren Carmody und Gelliston, darf er auf das unbefangenste ein vertrauliches Gespräch mit seiner »jungen Schülerin« vorführen. Sie fühlt auf sich die versammelten Blicke der Belegschaft und erinnert sich an die anderen Namen, die sie im Haus führt; in plötzlicher Wut beschließt sie, de Rosnys weiße Doppelmähne sei eine Perücke, oder doch zumindest blaustichig eingefärbt, im Ton seiner Augen. De Rosny doziert. »Wir« sind nicht aggressiv, »wir« sind nicht subversiv, »unseren« westdeutschen Freunden werden »wir« ein stilles Auftreten noch eigens einschärfen, damit »wir« und »unsere« Freunde in England, in Dänemark nicht böse werden über ein verpatztes Geschäft. Und was denkt Mrs. Cresspahl über die Kommunisten in Rumänien? die haben sich doch gegen eine Einmischung in Sachen der Č. S. S. R. festgelegt, ähnlich wie Tito? Sie ist fast dankbar, als das Verstummen der Rieselmusik ihn zum Schweigen bringt. Der Präsident steht schon auf seiner Erhöhung, hat sich mehrmals geräuspert, de Rosny muß seiner »jungen Freundin« noch zuflüstern: Das nächste Mal benutzen wir einen Vorhang für dies Theater!
Die Aufführung beginnt mit einer Ansprache des Titularpräsidenten. Wie oft hat Mrs. Cresspahl ihn gesehen seit der Feierstunde, als die arme Gwendolyn Bates für ihren Übereifer einen silbernen Backenstreich empfing, immer noch kann sie sich zu wenig merken von R. W. T. Wutheridge, als daß sie ihn erinnern könnte, sei es als stilles Bild. »Bäuerlich« sagen sie gern von ihm. Aber er muß einer von den gottergebenen Bauern sein, den ahnentreuen, den ungeschickten, so ängstlich kommt er ihr vor; an diesem kleinen alten Körper sehen die Maßanzüge zu kurz aus; diesem blauwangigen Haarverlierer haben die siebzig Jahre eine Würde vorenthalten. Das Programm geht so: zunächst hält er eine Ansprache nach eigenem Gusto, damals über das Ethos der Arbeitsgemeinschaft und was Amerika von uns will. So heute, und er wünscht demnach unser Glück. Darauf werden die Kandidaten aufgerufen, besteigen die mit Teppich belegte Kiste und sollen Auge in Auge mit dem Obersten Schausprecher eine Darstellung ihrer Verdienste anhören. Diese Preisreden aber stammen aus dem Sekretariat de Rosnys, weswegen die Anfänge nur so wimmeln von Unterschieden:
Es ist wahrhaftig schwer, die angemessenen Worte zu finden …
Die Überreichung dieser Prämie schafft in jeder Hinsicht einen Präzedenzfall …
Meines Wissens hat kein einziger Mitarbeiter der Firma …
Es ist wohl an die fünfundzwanzig Jahre her …
Es ist eben einer sehr jung, oder die Dame hat schon Arizona erobern helfen, »den Schild auf dem Rücken, ohne ihn abzulegen«, oder die Familie arbeitet in der dritten Generation für das Bankgeschäft. So wird Mr. Kennicott II . verarztet, auch einer von den Vergeßbaren, jetzt führt er in einem kleine rundliche Verbeugungen durch, »er wird immer zu den Siegern gehören«, und das in der Personalabteilung, wobei der letzte Satz ihm vermittelt, »er wird uns im nächsten Jahr verlassen«; da soll der schräge Blick de Rosnys seine »junge Assistentin« an etwas erinnern, waren das nicht weiße Pumps in einer Schreibtischschublade? soll dies eine Wiedergutmachung sein? So kommt eine junge Negerin an die Reihe, die ist uns in den Fahrstühlen des öfteren aufgefallen mit ihren großen Augen, voll von Verzweiflung und Verzeihung, ihrem mütterlichen Wesen gegen die rosahäutigen Herren, die wird nun kenntlich gemacht als Blandine Roy und belobigt für ihre Leistungen in der Postzentrale; dabei ist uns erinnerlich, was für schwere Pannen es gegeben hat allein in der Hauspost, hier wird keine Person geehrt sondern eine Negerin als ein Alibi des Unternehmens; alle sind wir mit ihr erleichtert, als sie heruntersteigt und im
Weitere Kostenlose Bücher