Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Beklemmung und wußte zuversichtlich, daß dies eine verläßliche Bescherung war, die gut ausgehen würde. Und weil wir uns nach Frau Habelschwerdts Seufzen zugenickt haben sollen wie zwei Pferde, die einander lange kennen im Geschirr, galten wir fortan als ein Liebespaar.
Unbegreiflich, wegen unserer Väter, blieb es noch lange, daß die Cresspahl von der Schule mit einem Pagenkopf nach Hause ging und mit dem ihre Schularbeiten machte, oder Pius auf eine halbe Stunde Schlaf verzichtete, um Gesine zum jerichower Milchholerzug abzupassen. Wir banden Niemandem unseren Vertrag auf die Nase, selbst einander nicht. Die Cresspahl hatte es hinter sich gebracht mit dem Brauch, daß man mit Einem doch gehen muß; wie es stand mit ihr und Jakob, fürchtete sie inzwischen doch einzusehen. Und Pius hatte nun immer jemand, mit dem er an Lise Wollenberg vorbeigehen konnte, als habe es mit ihrem Paßbild erst seine Richtigkeit bekommen, als er es zerriß.
19. Juli, 1968 Freitag
– Heute kommt alles runter. (Robinson Adlerauge)
– Heute kommt alles runter, Gesine. Und rauch nicht so viel! (Mrs. Eileen O’Brady)
– Heute dürfte alles runterkommen, mein Gärtner hat gegen mich gewettet. (De Rosny)
Wenn doch alles runterkäme heute, was über der Stadt hängt an Hitze, was die Morgen bleich macht, die Tage dunstig, so daß die hohen Fassadenkanten flirren, das Stillstehen in der Sonne unerträglich wird, weil aus den Steinen Glut durch die Schuhsohlen schlägt. Gestern abend hat der Schmutz in der Luft der Sonne nur ein kleines, schmorendes Loch gelassen. Wenn man acht Blocks lang durch die heiße flüssige Luft geschwommen ist, trifft das Kunstklima der Bank wie ein Stoß gegen das Herz. Wenn heute doch alles runterkäme.
Was also liegt vor gegen die tschechoslowakischen Kommunisten von seiten ihrer Kollegen in Ostdeutschland, Ungarn, Polen und der Sowjetunion, und was hat das Präsidium des Zentralkomitees der K. P. der Č. S. S. R. ihnen geantwortet?
Wir haben es gelesen, sagen die, und Gruß zuvor. Aber die Sorgen, die ihr euch macht um uns, mit denen haben wir uns doch in unserem Maiplenum beschäftigt.
Wie können wir denn plötzlich und mit einem Mal aufräumen mit den Sachen, die in den zwanzig Jahren vor unseren Januarbeschlüssen verbockt wurden. Wenn wir jetzt anfangen mit gesunden sozialistischen Handlungen, ist es unausbleiblich, daß da welche übers Ziel schießen wollen, ob das nun antisozialistische Häuflein sind oder die Fronde der alten Dogmatiker. Wenn wir uns auf unsere neue Linie einigen wollen, kann nicht einmal in der Partei jedes Auge trocken bleiben. Viele von uns sind so an das Regieren von oben gewöhnt, daß die Wünsche von unten immer mal wieder zu kurz kommen. Wir wollen diese Tatsachen nun einmal eingestehen, vor uns selbst und vor unserem Volk. Ihr wißt das.
Ihr habt doch Augen im Kopf. Wie könnt ihr dann behaupten, unsere Lage sei konterrevolutionär, wir wollten den Sozialismus aufgeben, unsere Außenpolitik ändern, wir wollten unser Land von euch losbrechen. Nach allem was ihr im Krieg und in den Jahren danach für uns getan habt, solltet ihr nicht zweifeln an uns. Es kränkt uns.
Wir sind Freunde im Sozialismus. Und es soll doch besser werden mit der Achtung vor einander, der Unabhängigkeit und der internationalen Solidarität. Wir werden uns mehr Mühe geben. Verlaßt euch auf uns.
Ihr redet von unseren Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland. Sie ist nun einmal unser unmittelbarer Nachbar. Und wir sind die letzten gewesen, die sich endgültig entschlossen zu einer teilweisen Regelung, besonders im wirtschaftlichen Gebiet. Es gibt andere sozialistische Länder, die haben das früher und in größerem Umfang getan, da war keinem angst.
Hand in Hand damit achten und verteidigen wir die Interessen der Deutschen Demokratischen Republik. Sie ist unser sozialistischer Verbündeter. Wir helfen ihr nach Kräften bei ihrem Ansehen und Stand in der Welt. Das haben wir im Januar gesagt, das haben wir in allen Monaten seitdem getan.
Was wir euch versprochen haben im Vertrag, werden wir einhalten. Was uns liegt an der gegenseitigen Zusammenarbeit, an Frieden und unserer gemeinsamen Sicherheit, ihr könnt es sehen an unseren neuen Freundschaftsverträgen mit Bulgarien und Ungarn, und an dem Vertrag, den wir mit Rumänien vorhaben. (Ihr wißt schon, warum wir hier China ausklammern. Oder Polen.) Nichts für ungut.
Daß wir uns halten an unsere Bündnisverpflichtungen, wir haben
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