Jahrmarkt der Eitelkeit
sanft und demütig sein, meine Herzchen. Trotz allem, was Lady Steyne weiß, ist diese verleumdete, einfache, gutherzige Mrs. Crawley vollkommen unschuldig, sogar unschuldiger als Sie selbst. Ihr Mann hat keinen besonders guten Charakter, aber trotzdem doch einen so guten wie Bareacres, der ein wenig gespielt und noch weniger bezahlt hat. Er hat Sie doch um die einzige Erbschaft gebracht, die Sie je zu erwarten hatten, und Sie mir bettelarm in die Hand gegeben. Mrs. Crawley ist nicht von sehr guter Herkunft, aber sie ist nicht schlechter als Fannys großer Ahne, der erste de la Jones.«
»Aber das Geld, das ich in die Familie gebracht habe ...«, rief Lady George aus.
»Sie haben damit eine eventuelle Erbschaft erkauft«, sagte der Marquis düster. »Wenn Gaunt stirbt, so kann Ihr Mann seinen Titel und seinen Besitz bekommen; Ihre kleinen Knaben können das dann einmal erben und wer weiß, was noch alles. Inzwischen, meine Damen, seien Sie anderswo so stolz und tugendhaft, wie Sie wollen, aber haben Sie sich nicht so mir gegenüber. Was Mrs. Crawleys Ruf betrifft, so werde ich weder mich noch diese makellose und vorwurfsfreie Dame so weit erniedrigen, auch nur anzudeuten, er müsse verteidigt werden. Sie werden sie bitte mit der größten Herzlichkeit hier empfangen, wie alle, die ich in dieses Haus einführe. Dieses Haus?« Er brach in ein Gelächter aus. »Wer ist der Herr darin und was ist es? Dieser Tugendtempel gehört mir. Und wenn ich ganz Newgate oder Bedlam 1 einlade, zum Teufel, sie sollen willkommen sein.«
Auf diese nachdrückliche Ansprache, wie sie Lord Steyne gewöhnlich seinem »Harem« hielt, wenn sich Zeichen von Widerspenstigkeit in seinem Hause zeigten, blieb den gedemütigten Frauen nichts weiter übrig, als zu gehorchen. Lady Gaunt schrieb die Einladung, wie es der Lord verlangt hatte, und sie fuhr mit ihrer Schwiegermutter bitteren Herzens höchstpersönlich an Mrs. Rawdons Haus vor, um die Karten abzugeben, deren Empfang dieser unschuldigen Frau so viel Freude bereitete.
Es gab Familien in London, die ein Jahreseinkommen geopfert hätten, um einer solchen Ehre aus den Händen dieser hohen Damen teilhaftig zu werden. Mrs. Frederick Bullock zum Beispiel wäre auf den Knien von Mayfair bis zur Lombard Street gerutscht, hätten Lady Steyne und Lady Gaunt in der City gestanden und sie mit den Worten aufgehoben: »Kommen Sie nächsten Freitag zu uns« – nicht zu einem der großen Allerweltsbälle im Gaunt-Haus, wohin jedermann ging, sondern zu den geheiligten, unzugänglichen, geheimnisvollen, köstlichen Gesellschaften, zu denen zugelassen zu werden ein Privilegium, eine Ehre und eine wahre Seligkeit war.
Streng, makellos und schön, nahm Lady Gaunt auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit den höchsten Rang ein. Die ausgesuchte Höflichkeit, mit der Lord Steyne sie behandelte, bezauberte alle, die Zeuge seines Verhaltens waren, und zwang die strengsten Kritiker zu dem Bekenntnis, daß er ein vollkommener Gentleman sei und daß der Lord zumindest das Herz auf dem rechten Fleck trüge.
Die Damen vom Gaunt-Haus riefen Lady Bareacres zu Hilfe, um den gemeinsamen Feind zurückzuschlagen. Eine von Lady Gaunts Kutschen fuhr nach der Hill Street, um die Mutter abzuholen, denn ihre sämtlichen Equipagen befanden sich in den Händen der Gerichtsvollzieher. Man erzählte, daß die unerbittlichen Israeliten sogar ihre Juwelen und Kleider mit Beschlag belegt hätten. Auch Schloß Bareacres gehörte jetzt ihnen mit allen seinen kostbaren Gemälden, Möbeln und Wertgegenständen – den herrlichen van Dycks 2 , den edlen Bildern von Reynolds 3 , den schönen bunten Porträts von Lawrence, die man vor dreißig Jahren für ebenso kostbar hielt wie die Werke echten Genies, die unvergleichliche »Tanzende Nymphe von Canova«, für die Lady Bareacres in ihrer Jugend Modell gestanden – Lady Bareacres, damals glänzend und strahlend in Reichtum, Rang und Schönheit, jetzt eine kahlköpfige Alte, der bloße Fetzen eines früheren Prachtgewandes. Ihr Mann, der zur selben Zeit von Lawrence gemalt worden war, wie er in der Uniform eines Oberst der Thistlewood-Miliz vor Schloß Bareacres den Säbel schwenkte, war ein verwitterter magerer Alter mit Überrock und Brutusperücke, der morgens meistens um Gray's Inn herumschlich und in den Klubs allein speiste. Er aß jetzt nicht mehr gern mit Steyne. Sie hatten während ihrer Jugend in Vergnügungen gewetteifert, und Bareacres war Sieger gewesen. Steyne stand aber auf
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