Jahrmarkt der Eitelkeit
über den herrlichen Psalm. Seine Mutter konnte ihn eine Weile durch den Schleier, der ihren Blick trübte, nicht sehen.
52. Kapitel
In dem sich Lord Steyne in einem sehr liebenswürdigen Licht zeigt
Wenn Lord Steyne jemandem Gutes tun wollte, so tat er es nicht halb, und seine Güte gegen die Familie Crawley machte seinem Charakterisierungsvermögen alle Ehre. Der Lord dehnte sein Wohlwollen auf den kleinen Rawdon aus. Er machte die Eltern des Knaben aufmerksam, wie nötig es sei, ihn in eine gute Schule zu schicken, und meinte, der Junge befinde sich in einem Alter, wo ihm der Wetteifer, die Anfangsgründe der lateinischen Sprache, Boxübungen und die Gesellschaft von Schulkameraden von großem Nutzen sei. Sein Vater wandte ein, er sei nicht reich genug, den Knaben auf eine solche Schule zu schicken, und seine Mutter meinte, die Briggs sei eine ausgezeichnete Lehrerin für ihn, denn sie habe ihn (und das war auch wirklich der Fall) im Englischen, in den Anfangsgründen des Lateinischen und in allgemeinen Kenntnissen sehr weit gebracht, aber alle diese Einwendungen schmolzen vor der großmütigen Ausdauer von Lord Steyne. Der Marquis gehörte zum Vorstand der berühmten alten Schule, die unter dem Namen Whitefriars bekannt ist. In alten Tagen, als das benachbarte Smithfield noch Turnierplatz war, hatte dort ein Zisterzienserkloster gestanden. Man brachte hartnäckige Ketzer zum Verbrennen hierher. Heinrich VIII., der Verteidiger des Glaubens, beschlagnahmte das Kloster und dessen Besitzungen und ließ einige von den Mönchen, die sich seinen Reformen nicht anpassen konnten, foltern und hängen. Schließlich kaufte ein großer Kaufmann das Haus und das umliegende Land und errichtete dort mit Hilfe anderer reicher Spenden an Geld und Land ein berühmtes Stift für Alte und Kinder.
Eine Schule entstand neben der alten, fast klösterlichen Stiftung, die mit ihren mittelalterlichen Kostümen und Gebräuchen noch immer besteht, und alle Zisterzienser beten, daß sie noch lange blühen möge.
Zum Vorstand dieses berühmten Hauses gehörten einige der höchsten Adligen, Prälaten und Würdenträger Englands, und da die Knaben sehr gut untergebracht, ernährt und erzogen werden und später reichliche Stipendien an der Universität und gute Einkünfte in der Kirche bekommen, so weiht man manchen jungen Herrn von zartester Kindheit an dem Dienst in der Theologie und bewirbt sich mit großem Eifer um Stellen in der Schule. Sie war ursprünglich für die Söhne armer verdienter Geistlicher und Laien bestimmt gewesen. Aber viele der adligen Schulvorsteher wählten mit launenhaftem und übertriebenem Wohlwollen alle möglichen Gegenstände für ihre Großherzigkeit. Es war ein ausgezeichnetes Mittel, eine gute Erziehung und ein späteres reichliches Auskommen umsonst zu erhalten, daß einige der Reichsten es nicht verschmähten. Nicht nur die Verwandten der Vornehmen, sondern auch die Vornehmen selbst schickten ihre Söhne dahin, um aus dieser Gelegenheit ihren Vorteil zu ziehen. Hohe Kirchenfürsten schickten ihre eigenen Verwandten oder die Söhne ihrer Geistlichen, während es auf der anderen Seite auch vornehme Adlige gab, die sich nicht zu fein vorkamen, die Kinder treuer Diener unter ihre Fittiche zu nehmen. Wenn ein Knabe also in das Institut eintrat, so geriet er in eine sehr vielschichtige jugendliche Gesellschaft.
Obwohl Rawdon Crawley außer dem Rennkalender kein Buch studiert hatte und seine Erinnerungen an die Wissenschaft hauptsächlich um die Prügel kreisten, die er in seiner Jugendzeit in Eton erhalten hatte, so besaß er doch vor der klassischen Gelehrsamkeit die anständige und ehrliche Achtung eines englischen Gentleman, und er freute sich bei dem Gedanken, daß sein Sohn dann vielleicht lebenslänglich versorgt war und Gelegenheit hatte, ein Gelehrter zu werden. Zwar war der Knabe sein großer Trost und liebster Gefährte, und tausend kleine Fäden verbanden beide (mit seiner Frau konnte er darüber nicht sprechen, sie hatte bisher nur Gleichgültigkeit gegen ihren Sohn bewiesen), doch fand er sich sogleich zu einer Trennung bereit. Für des kleinen Burschen zukünftiges Wohl gab er seinen einzigen Trost auf. Erst als er den Jungen gehen lassen mußte, wußte er, wie lieb er ihn hatte. Als er Abschied genommen hatte, war er trauriger und niedergeschlagener, als er zugeben mochte – viel trauriger als der Knabe, der sich freute, einen neuen Lebensabschnitt anzufangen und gleichaltrige Gefährten zu
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