Jahrmarkt der Unsterblichkeit
verpflichten und von ihnen das Land der Heiligen Schrift durchkämmen lassen.
Sears sagte: «Wieviel Zeit bleibt Ihnen denn noch?»
Sie machte Bewegungen auf ihrem Schreibtisch, die andeuteten, daß das Gespräch beendet sei. «Vielen Dank, Mr. Sears, ich bin nicht interessiert.»
«Und dann», erwiderte Sears und warf den letzten Trumpf auf den Tisch, «haben Sie den Jungen ja nicht. Ohne ihn werden Sie nichts erreichen. Oder hatten Sie tatsächlich geglaubt, ich käme zu einer Frau von Ihrem Ruf in der Finanzwelt und legte jede Karte offen auf den Tisch, ohne mir, wenn es ans Aushandeln geht, mindestens ein As zurückzubehalten?»
Mindestens war es ihm gelungen, sie noch einmal abzulenken. Sie blickte auf. «Was für einen Jungen? Wovon reden Sie jetzt?»
Er zögerte, weil er nun doch gezwungen war, ihr die faustdicke Lüge aufzutischen, die er sich auf der Fahrt von Los Angeles nach San Francisco im Bus mit Ben-Isaaks Hilfe und gestützt auf seine Bibelkenntnisse ausgedacht hatte. Er wußte aus Erfahrung, daß Lügen immer eine Bedrohung waren, die sich später gegen einen selber richten konnte. Es war ihm fast gelungen, seine Theorie durch die Möglichkeiten, die in ihr selbst lagen, zu verkaufen. Und er fand, sein Spiel wäre sehr viel kunstvoller gewesen, wenn Hannah es so hingenommen hätte, wie er es ihr erklärt hatte; in diesem Fall hätte er auch nicht gezögert, Ben-Isaak laufen zu lassen.
Nun aber beugte er sich im Sessel vor und fixierte Hannah scharf; dabei sprach er langsam und zwingend: «Ben-Isaak von Naphtali und Kedesch-Naphtali im Land Galiläa. Er ist ein unmittelbarer Nachkomme von jenem Naphtali, der der Sohn von Bilha und Jakob, dem Sohn Isaaks, war, dessen Vater Abraham der Stimme Gottes gehorchte und mit Sara aus Ur in Chaldäa auswanderte und nach Kanaan und in das Land Ephraims zog; er nahm die letzten Samen der Frucht vom Baum des Lebens mit sich.»
Hannah schien von dem sonoren Abrollen der uralten biblischen Namen gefangen zu sein.
«Ben-Isaak», fuhr Sears fort, «kommt aus den Hügeln von Chazor, die die Wasser des Merom überblicken; dort lebt ein Teil seines alten Stammes unverändert seit dem Anfang der geschichtlichen Zeit.»
«Wer ist das?» fragte Hannah. «Was hat er mit dem zu tun, was Sie mir eben erzählt haben?»
Sears beugte sich weiter vor. «Ich sagte schon, das Geheimnis vom Baum des Lebens ist nach der Flut vergessen worden. Aber nicht von allen. In der Geschichte der Familie Ben-Isaaks gibt es einen Bericht von jenem Barzillai, der noch im Jahr 512 Anno Domini am Leben war; denn für das folgende Jahr wurde sein Tod bezeugt. Kein Lebender konnte sich erinnern, wann Barzillai geboren worden war oder wie lange er gelebt hatte. Aber er sprach als Augenzeuge von einem gewissen Lärm im Tempel von Jerusalem, als der Mann aus Nazareth die Tische der Geldwechsler umwarf und die Schekel auf die Steine rollten, während er die gottlosen Händler mit Peitschenhieben aus dem Tempelvorhof trieb. Und derselbe Barzillai wanderte eines Abends bei Donner, Sturm und Erdbeben zum Hügel Golgatha hinauf und sah dort drei Leichen an drei Kreuzen, von denen ein Mann mit Dornen gekrönt war.»
Während er sprach, hatte in Hannah eine leichte Veränderung stattgefunden, die ihm nicht entging. Sie war nicht mehr die Frau aus Eis, Eisen und Fischbein. Für einen Augenblick taute die grimmige Linie ihres Mundes auf und zog sich schmerzlich nach unten.
Das berührte Joe Sears wunderlich. Welch kosmische Ironie wäre es, wenn diese menschliche Gelderzeugungsmaschine mit dem unbeugsamen Willen, dieses kalte Rechengehirn von einer Frau, die eine begründete, durchaus nicht einfach von der Hand zu weisende Theorie als Quatsch und Unsinn abgelehnt hatte, nun die Lüge für wahr halten würde!
«Was ist mit diesem Jungen?» fragte Hannah abermals.
«In seinen Adern rinnt das Blut von jenem Barzillai, der ein halbes Jahrtausend nach der Kreuzigung starb.»
Nun sah er, wie die nackte Gier in ihre Augen trat und sich des planenden Gehirns und der sich fester ballenden Fäuste bemächtigte. Er sagte gelassen:
«Sie können ihn nicht kaufen, Miss Bascombe. Ich fand ihn halb verhungert im Süden. Er war von einem Schiff aus dem Osten weggelaufen. Er schuldet mir sein Leben.»
«Wie alt ist er?»
«Wer kann das sagen? Er ist ohne Alter.»
Während sie dasaß und schweigend vor sich hinstarrte, überlegte Sears, ob er zu weit gegangen sei. Er dachte: Jetzt hast du’s umgeworfen, mein
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