Jake Djones und die Huter der Zeit
eine Runde um den Kronleuchter an der Decke, um seine tauben Flügel ein wenig zu strecken.
»War es wirklich nur die Höhe?«, fragte Jake, erleichtert darüber, seine Maske für den Moment fallen lassen zu können.
Einen Moment lang reagierte Topaz nicht. »Es ist schon eine Weile her, dass ich in einem von Zeldts Schlössern gewesen bin. Die Erinnerung, sie hat mich wohl überwältigt, aber jetzt fühle ich mich wieder bestens.«
»Welche Erinnerung �«, fragte Jake.
»Sehen wir uns doch einmal die Suite an«, erwiderte Topaz und ignorierte die Frage. Sie verschwand in den nächsten Raum, und Jake folgte stumm. Er hatte begriffen, dass die Unterhaltung fürs Erste beendet war.
Das Schlafzimmer war beinahe noch gröÃer als der Wohnraum. Das riesige Himmelbett war mit extravaganten Samtvorhängen verziert, und das nur unwesentlich kleinere Badezimmer, in dem eine groÃe, dampfende Badewanne magische Düfte nach Rose und Bergamotte verbreitete, war mit terrakottafarbenem Marmor gefliest.
Der atemberaubendste Anblick jedoch bot sich ihnen von der Terrasse aus. DrauÃen war es eisig kalt, und der Wind pfiff ihnen um die Ohren, doch sie bemerkten es kaum.
» Das nenne ich ein Panorama«, sagte Jake ehrfürchtig. Ihm war, als schaue er in die Unendlichkeit: Der Rhein wand sich bis zum Horizont, wo er zwischen den bewaldeten Hügeln verschwand, dazwischen lagen romantische Dörfer und Städtchen, weitere Schlösser thronten auf Bergkuppen nah und fern. Der Ausblick wäre zu jedem Zeitpunkt der Geschichte atemberaubend gewesen, doch so schön wie jetzt, im Jahr 1506 â lange vor allen »Segnungen« der Moderne wie Autos, Flugzeugen und Retortenstädten â, dachte Jake, würde er nie wieder sein. Mit leuchtenden Augen drehte er sich zu Topaz um, die genauso staunte wie er.
» Câest incroyable, non? Zeitreisen sind etwas Wunderbares«, sagte sie, als hätte sie Jakes Gedanken gelesen. »Es ist, wie wenn man den Sternenhimmel betrachtet: Je genauer man hinschaut, desto mehr sieht man.«
Nachdem sie alle ein ausgiebiges Bad genossen hatten (in einer Wanne mit flieÃend warmem Wasser aus goldenen Hähnen in der Form von Delfinen), wählten sie die geeignete Garderobe für den Abend aus. Ohne Nathans Expertenrat fiel ihnen die Aufgabe nicht leicht, doch schlieÃlich entschied sich Jake für ein elegantes spanisches Wams aus leuchtend blauem Samt und dazu als Accessoire eine schwere goldene Halskette. Topaz wiederum wählte ein cremefarbenes Gewand aus schimmerndem Brokat. Nur Charlie blieb bei seinem einfachen Dienerkittel und den Kniehosen.
Um Punkt sieben kam ein Diener, um sie abzuholen. Schweigend führte er sie durch ein Labyrinth aus Treppen und Fluren zu einer prunkvollen Doppeltür.
»Du musst drauÃen bleiben«, teilte der Diener Charlie in barschem Tonfall mit. »Warte drüben bei den anderen Bediensteten.« Er deutete auf eine schmale Treppe, die zu einem Aufenthaltsraum für Personal führte, wo bereits eine Handvoll düster dreinblickender Leibdiener auf den Ruf ihrer Herrn wartete.
»Aber ⦠gewöhnlich begleite ich Herrn und Frau Volsky überallhin«, stammelte Charlie und hätte dabei beinahe den russischen Akzent vergessen.
»Nur die geladenen Gäste dürfen diesen Saal betreten«, gab der Diener ungerührt zurück und hob eine Hand, um seiner Anordnung Nachdruck zu verleihen.
Charlie blieb nichts anderes übrig, als zu gehorchen. »Ich will einen genauen Bericht von dem Bankett â alles, was im Laufe des Abends serviert wird, jedes einzelne Gericht, verstanden?«, flüsterte er Jake ins Ohr.
Jake nickte, und Charlie begab sich widerstrebend in den Aufenthaltsraum, in dem ihn vierzig Diener griesgrämig anstarrten, woran auch ein warmes Lächeln und ein freundliches Zwinkern seinerseits nichts änderten.
Jake und Topaz, die Volskys von Odessa, lieÃen sich unterdessen durch die Doppeltür geleiten, die sich wie durch Zauberhand von selbst öffnete. Der Anblick, der sich ihnen bot, lieà den beiden das Blut in den Adern gefrieren, und einen Moment lang konnten sie kaum atmen, doch irgendwie schafften sie es, sich nichts anmerken zu lassen, und traten ein.
22
Das kommende Imperium
G enauso wie Charlie, der soeben den unfreundlichen Blicken der anderen Diener begegnet war, erging es nun auch Jake und
Weitere Kostenlose Bücher