Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jurek Becker
Vom Netzwerk:
eingehen, aber in unserer Geschichte erhält sie einen Ehrenplatz.
    Und wenn alles ausgestanden ist, wenn jeder, den es interessiert, den wahren Kriegsverlauf in Büchern nachlesen kann, dann sollen sie ruhig kommen und einen fragen: »He, du, was hast du damals für einen Blödsinn erzählt? Wann hat es je eine Schlacht an der Rudna gegeben?« – »Hat es nicht?« wird man dann verwundert antworten. »Zeigt mal das Buch her …
    Tatsächlich, es hat sie nicht gegeben. Sie steht nicht drin.
    Dann habe ich mich wohl verhört damals, entschuldigt bitte.«
    Sie werden einem wohl verzeihen, im schlimmsten Fall werden sie mit Schulterzucken gehen, vielleicht werden sogar solche unter ihnen sein, die sich für den Irrtum bedanken.
    Jakob hat, was den Fortgang der Kampfhandlungen betrifft, ein wenig vorgearbeitet, wobei ihm seine Ortskenntnis von großem Nutzen war. Die Schlacht an der Rudna mit all ihren Nachwirkungen soll für die nächsten drei Tage ausreichen, die Bäume wachsen nicht in den Himmel. Denn das Überschreiten des Flusses ist nicht ganz ohne Probleme, so leicht machen wir es den Russen nicht, die Deutschen haben die einzige Brücke gesprengt, hat sich Jakob gedacht. Bevor der Vormarsch fortgesetzt werden kann, muß eine behelfsmäßige Pontonbrücke gebaut werden, und darüber vergehen die drei oder vier Tage. Dann ist auch das erledigt, die Russen marschieren auf das Städtchen Tobolin, aus dem die Deutschen eine Art Festung gemacht haben. Die hält wieder drei Tage stand, sie wird umzingelt, von der Artillerie reif geschossen und von der Infanterie gestürmt, in hoffnungsloser Lage unterschreibt Major Karthäuser, ein prächtiger Name mit vertretbarem Rang, die Kapitulationsurkunde, Tobolin ist befreit. Ganz nebenbei, darüber wird sich Mischa freuen, er hat dort eine Tante zu wohnen, die diesen Sieg hoffentlich noch erlebt. Die Tante Lea Malamut, sie besaß ein Galanteriewarengeschäft und hat, als Mischa noch ein Junge war, zu jedem seiner Geburtstage ein Kästchen mit bunten Knöpfen und Schnüren geschickt. Aber wir wollen uns nicht länger als nötig in Tobolin aufhalten, von dort bis zur Kreisstadt Pry, der nächsten in unserer Richtung, ist ein weiter Weg. An die siebzig Kilometer, die sind in groben Zügen schon entworfen, jedoch noch nicht in allen Einzelheiten fertig. Das wird Jakobs Nachtarbeit für die nächste Zeit, bis Tobolin ist vorläufig alles klar, und heute wird auf dem Bahnhof das Ergebnis der ruhmreichen Schlacht an der Rudna verkündet.
    Gehobenen Herzens geht Jakob zur Arbeit, ihm kommt ein hübsches kleines Glanzlicht in den Sinn, das er dem Geschehen an der Rudna aufstecken könnte. Ob nicht vielleicht geheime deutsche Pläne den Russen in die Hände gefallen sein sollten, wodurch alle Aktionen des Gegners an dieser Front auf Wochen hinaus bekannt sind und daher wirkungslos. Das wären ein paar Rosinen in Jakobs Kuchen, aber sofort melden sich Zweifel, die Wahrscheinlichkeit betreffend, denn bewahrt man geheime Pläne an solch unsicherem Ort auf, immerhin sind die Deutschen keine Idioten. Und auch die Russen sind keine Idioten, selbst wenn sie Pläne der genannten Art erbeuten, werden sie es nicht per Radio in die Welt posaunen, sie werden es schön für sich behalten und in aller Stille ihre Vorkehrungen treffen. Also verzichten wir auf das kleine Glanzlicht, auch das Vorhandene genügt, um den Juden ein wenig von der Haltung zu geben, mit der Jakob immer noch zur Arbeit geht, gehobenen Herzens.
    An der Ecke Tismenizer sieht er Kowalski warten, an sich nichts Besonderes, Kowalski wartet oft hier auf ihn, er wohnt hier. Beim Näherkommen stellt sich allerdings heraus, daß Kowalski in Begleitung ist, neben ihm steht ein junger Mann, das ist schon eher ungewohnt, vor allem hat man den jungen Mann noch nie gesehen.
    Bereits von weitem zeigt Kowalski mit dem Finger auf Jakob, der fremde junge Mann läßt seine Blicke dem Finger folgen, als wollte Kowalski ihm erklären, jener da ist es, der mit der dunkelgrauen Jacke.
    Jakob erreicht sie, man gibt sich die Hand und setzt den Weg zu dritt fort, die Vorstellung steht noch aus. Kowalski sagt: »Du kommst heute spät. Wir haben schon eine ganze Weile auf dich gewartet.«
    »Waren wir vielleicht verabredet?« fragt Jakob. Er betrachtet den jungen Mann, der kein Wort redet, von der Seite, er wirkt ein wenig unbeholfen und verlegen, er blickt starr geradeaus, und ein Blinder muß erkennen, daß es mit seiner Anwesenheit etwas auf sich

Weitere Kostenlose Bücher