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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jurek Becker
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ist Lina zu Hause, oft deckt sie den Tisch, trägt auf und räumt ab, die könnte man sich sparen, aber das Unternehmen soll nicht an einem Flüchtigkeitsfehler scheitern.
    Sie sieht nach, die vier Teller, zwei Tassen, Zuckerdose, Messer und Löffel, dazu noch ein Stück Brot und eine Tüte Bohnen, keine Überraschung.
    Also die untere Tür. Lina zögert, die Finger halten schon den Schlüssel und können sich nicht entschließen, wenn das Gesuchte da nicht ist, dann ist es nirgends. Unten im Schrank hatte sie bisher nichts verloren, »da ist mein Zeug drin«, hat Jakob gesagt, das klang durch und durch unverfänglich. Sein Zeug, jetzt weiß man erst, was sich hinter zwei so harmlosen Worten verbirgt.
    Das Zögern hält sich in Grenzen, Lina macht endlich auf, draußen im Flur laufen Schritte vorbei. Zuschließen geht nicht, wenn Jakob käme, würde er nicht fragen, was sie hier tut, er würde dann fragen, warum sie sich eingeschlossen hat, und darauf gibt es keine Antwort. Lina räumt aus, Hose und Hemd, Nadel und Zwirn, ein Topf, warum steht der nicht oben, Kasten mit Nägeln und Schrauben, ein leerer Bilderrahmen, das Buch von Afrika. Sie gönnt sich eine kleine Pause, das Buch hat mehr als nur Buchstaben zu bieten, auf die Jakob seit einiger Zeit so seltsam viel Wert legt, die Bilder verdienen einige Augenblicke Beachtung, trotz allem.
    Die Frau mit den ungeheuer langen Brüsten, die so platt sind und wie getrocknet aussehen, und dem quer durch die Nase gezogenen Ring, dessen Sinn Jakob erst später erklären will.
    Die nackten Männer, die ihre Gesichter über und über bemalt haben, lange Speere in den Händen tragen und auf den Köpfen riesige Gebilde aus Federn, Haaren und Bändern.
    Oder die dünnen Kinder mit kugelrunden Bäuchen, Tiere mit Hörnern und Streifen und endlosen Nasen und noch längeren Hälsen, das alles kann einen schon aufhalten, aber doch nicht so sehr, daß man darüber sein eigentliches Ziel vergißt.
    Lina kriecht bis zum Bauch in den Schrank, ein letztes Hindernis wird beseitigt, ein bescheidener Stoß Wäsche mit grünem Handtuch obenauf, und dann. Der Weg ist freigeräumt zu diesem niegesehenen Ding, stolzes Siegerlächeln, es steht unscheinbar hinten in der Ecke, geheimnisvoll und verboten.
    Sie holt es ans Licht, ein kleines zartes Gitter, Schräubchen, Glas und rund, sie stellt es ehrfürchtig auf den Tisch, setzt sich davor, jetzt will man was erleben. Sein Zeug, hat Jakob gesagt, über dem Anstarren verrinnen die Minuten, was wird man nun erfahren, daß man vorher nicht gewußt hat? Redet dieses Ding wie ein gewöhnlicher Mensch, oder gibt es seine Geheimnisse auf andere Weise preis, auf irgendeine wunderbare? Nach einigem Versuchsschweigen erkennt Lina, von alleine verrät es nichts, man muß es zum Sprechen bringen, vielleicht muß man es einfach etwas fragen. Wenn ja, dann hoffentlich nicht nach einer festgelegten Zauberformel wie etwa Ali Baba vor dem Felsen Sesam.
    »Wie heiße ich?« beginnt Lina mit dem Einfachsten, doch schon damit scheint das Ding überfordert. Lina gibt ihm reichlich Zeit, umsonst, ihre Enttäuschung verliert sich in den Gedanken, man muß nach Unbekanntem fragen, nach etwas, das man vorher nicht gewußt hat, ihren Namen weiß sie doch.
    Sie fragt: »Wieviel ist dreißig mal zwei Millionen?«
    Da auch jetzt die Antwort ausbleibt, beschreitet sie neue Wege, sie denkt an das Licht, das man nach Belieben ein-und ausschalten kann, womöglich kann man das Ding genauso einschalten, versuchen wir es mit dem Schräubchen.
    Das ist eingerostet, läßt sich kaum bewegen, nach vieler Mühe nur ein leises Quietschen, und die Finger tun schon weh. Da steht Jakob in der Tür und fragt wie vorgesehen:
    »Was machst du denn hier?«
    »Ich«, sagt Lina, »ich wollte«, sagt sie, man muß sich von dem Schrecken erholen, »ich wollte doch bei dir aufräumen.
    Weißt du nicht mehr?«
    Jakob weiß noch, er sieht auf das Sodom und Gomorrha vor dem Schrank, zurück zu Lina, die aufräumen wollte, bevor er den Mund auftut, weiß sie, daß es so schlimm nicht werden kann. »Aber du bist hoffentlich noch nicht fertig?« sagt Jakob.
    Natürlich ist sie noch nicht fertig, sie hat ja eben erst begonnen, sie springt auf und stopft Topf und Buch und Wäsche wieder in den Schrank, daß seine Augen nur mit Mühe folgen können. Den Bilderrahmen hinterher, die Nägel fallen in der Eile aus dem Kasten, schnell sind sie aufgesammelt, Nadel und Zwirn noch, wo sind Nadel und Zwirn, die

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