Jakob der Luegner
Gescheiter hat sogar begonnen, einen Turm zu bauen, der bis zu den Wolken reichen sollte. Er dachte sich, wenn der Turm fertig ist, kletterst du rauf, schnappst dir eine Wolke und kassierst dann die Belohnung.
Aber bevor der Turm auch nur halb so hoch war, ist er wieder umgefallen. Und auch die anderen hatten kein Glück, nicht einer der Weisen konnte der Prinzessin eine Wolke besorgen, die sie so gerne haben wollte. Immer dünner und kränker ist sie geworden, immer dünner, denn sie hat vor Kummer keinen Bissen mehr angerührt, nicht einmal mazzot mit puter.
Eines schönen Tages hat der Gärtnerjunge, mit dem die Prinzessin manchmal draußen gespielt hat, als sie noch ein gesundes Mädchen war, der hat in den Palast reingeschaut, ob in irgendeiner Vase Blumen fehlten. Und dabei hat er sie in ihrem Bett liegen sehen, unter der Decke aus Seide und bleich wie Schnee. Die ganzen letzten Tage schon hatte er sich den Kopf zerbrochen, warum sie nicht mehr in den Garten kam, aber den Grund dafür wußte er nicht. Und deswegen hat er sie gefragt: »Was ist los mit dir, Prinzeßchen? Warum kommst du nicht mehr raus in die Sonne?«
Und da hat sie auch ihm gesagt, daß sie krank ist und nicht eher gesund wird, bis ihr jemand eine Wolke bringt. Der Gärtnerjunge hat ein bißchen nachgedacht, dann hat er gerufen:
»Aber das ist doch ganz einfach, Prinzeßchen!« – »So? Das ist ganz einfach?« hat die Prinzessin verwundert gefragt. »Alle Weisen im Land zerbrechen sich umsonst die Köpfe, und du behauptest, das ist ganz einfach?« – »Ja«, hat der Gärtnerjunge gesagt, »du mußt mir nur verraten, woraus eine Wolke ist.« Da hätte die Prinzessin fast lachen gemußt, wenn sie nicht so schwach gewesen wäre, sie hat geantwortet: »Was stellst du auch für dumme Fragen! Jedes Kind weiß, daß Wolken aus Watte sind.« – »Aha, und sagst du mir noch, wie groß eine Wolke ist?«
– »Nicht einmal das weißt du?« hat sie sich gewundert. »Eine Wolke ist so groß wie mein Kissen. Das kannst du selber sehen, wenn du bloß den Vorhang zur Seite schiebst und zum Himmel blickst.«
Da ist der Gärtnerjunge ans Fenster getreten, hat zum Himmel geblickt und gerufen: »Tatsächlich! Genausogroß wie dein Kissen!« Dann ist er losgegangen, hat bald der Prinzessin ein Stück Watte gebracht, und das war so groß wie ihr Kissen.
Den Rest erspare ich mir, jeder kann ihn sich leicht denken, wie die Prinzessin wieder blanke Augen bekommen hat und rote Lippen und gesund geworden ist, wie der gute alte König sich gefreut hat, wie der Gärtnerjunge die versprochene Belohnung nicht haben wollte und dafür lieber die Prinzessin heiraten, und wenn sie nicht gestorben sind, das ist Jakobs Geschichte.
Es dürfte derselbe Abend sein, höchstens einer davor oder einer danach, die sanfte schöne Rosa liegt bei Mischa und hört der Schlacht an der Rudna zu. Mischa erzählt sie leise, aber er flüstert nicht, zwischen leise reden und flüstern ist ein großer Unterschied, man wird zu Recht fragen, warum flüstert er nicht?
Und man wird fragen, warum der Schrank nicht mehr in der Zimmermitte steht, sondern ganz normal an der Wand, und warum der Vorhang wieder das Fenster verdeckt, anstatt den Raum in zwei Hälften zu teilen? Wo die spanische Wand geblieben ist, wird man sich wundern, und vor allem, warum Rosa auf einmal nackt liegt, obgleich das Licht noch brennt, wieso geniert sie sich nicht mehr? Dann wird man gütigst einen Blick auf das zweite Bett werfen, wird es leer finden und alle Fragen gehen auf in einer: Wo ist der taubstumme Isaak Fajngold mit den scharfen Ohren?
Ich weiß es ebensowenig wie Mischa, von Rosa gar nicht zu reden, vor einer Woche ist er frühmorgens zur Arbeit gegangen wie alle Tage und seither verschollen. Den ersten Abend hat man es noch nicht tragisch genommen, Mischa hat gedacht, vielleicht ist er einen Freund besuchen gegangen, hat sich verplauscht, wird dann gemerkt haben, daß es schon acht vorbei ist und zu spät für den Heimweg, da hat er sich eben auf die Erde gelegt und dort genächtigt. »Wieso verplauscht?« hat Rosa mißtrauisch gefragt. »Er ist doch taubstumm?« – »Na glaubst du vielleicht, Taubstumme können sich nicht unterhalten?« hat Mischa gedankenschnell geantwortet. »Glaubst du vielleicht, sie sind verurteilt, alles, was ihnen im Kopf herumgeht, für sich zu behalten? Sie können sich genauso verständigen wie du und ich, bloß eben in der Zeichensprache.«
Aber am zweiten Abend ist
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