Jakob der Luegner
beiden sagen könnte, das wäre vielleicht ein Ansatzpunkt. Sie hat sich die Namen notiert und mich gebeten, in zwei Stunden wiederzukommen.
Nach zwei Stunden erfuhr ich, daß Meyer wenige Tage vor Einzug der Roten Armee erschossen worden ist, von Partisanen, während eines nächtlichen Überfalls.
»Und der andere?« frage ich.
»Ich habe hier seine deutsche Adresse«, sagte sie.
Ich wollte schon die Hand nach dem Blatt Papier ausstrecken, da sah sie mich besorgt an und sagte: »Sie haben doch keine Dummheiten vor?«
»Nein, nein, was denken Sie denn«, sagte ich.
Sie gab mir das Blatt, ich sah auf die Adresse und sagte: »Das trifft sich günstig. Ich wohne jetzt auch in Berlin.«
»Sie sind in Deutschland geblieben?« fragte sie verwundert.
»Warum denn?«
»Ich weiß auch nicht«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Es hat sich so ergeben.«
Preuß wohnte in Schöneberg, das liegt in West-Berlin.
Nette Frau und zwei Kinder, der Frau fehlte ein Arm, an einem Sonntagnachmittag bin ich hingefahren. Als ich klingelte, öffnete mir ein großer, braunhaariger, gutaussehender Mann, etwas weichlich, kaum älter als ich.
»Sie wünschen?« fragte er.
»Sind Sie Herr Preuß?«
»Ja?«
Ich sagte: »Entschuldigen Sie die Störung. Könnte ich Sie wohl für wenige Minuten sprechen?«
»Bitte«, sagte er, führte mich in das Wohnzimmer und schickte die Kinder nach einigen Komplikationen hinaus.
An der Wand hingen eine Reproduktion der »Hände« von Dürer und die Photographie eines kleinen Mädchens mit einem Trauerflor. Er forderte mich auf, Platz zu nehmen.
Ich nannte ihm zuerst meinen Namen, der ihn aufhorchen ließ, wenn er natürlich auch nichts Konkretes mit ihm anzufangen wußte. Mehr schon mit der Frage, ob ich richtig informiert sei, daß er für Hardtloff gearbeitet hätte. Ich konnte beobachten, daß er bleich wurde, bevor er leise fragte:
»Weswegen kommen Sie?«
Ich sagte: »Ich komme wegen einer Geschichte. Genauer gesagt, wegen einer Lücke in dieser Geschichte, die Sie vielleicht schließen könnten.«
Er stand auf, machte sich an einem Schrank zu schaffen, fand bald, was er suchte, und legte ein Stück Papier vor mich auf den Tisch. Es war seine Entnazifizierungsurkunde, mit Stempel und Unterschrift.
»Sie brauchen mir das nicht zu zeigen«, sagte ich.
Er ließ das Papier trotzdem vor mir liegen, so lange bis ich es gelesen hatte, dann nahm er es, faltete es zusammen und schloß es wieder weg.
»Kann ich Ihnen etwas anbieten?« fragte er.
»Nein, danke.«
»Vielleicht eine Tasse Tee?«
»Nein, danke.«
Er rief: »Ingrid!« Seine Frau kam herein, man sah deutlich, daß es ihr immer noch ungewohnt war mit dem einen Arm.
Er sagte: »Das ist meine Frau.«
Ich stand auf, und wir gaben uns die Hand.
»Würdest du bitte runtergehen und den Siphon voll Bier holen? Sebald hat mir zum Wochenende zwei Liter versprochen«, sagte er zu ihr.
Als sie wieder draußen war, sagte ich: »Erinnern Sie sich an einen Professor Kirschbaum?«
»O ja«, sagte er sofort. »Sehr genau.«
»Sie haben ihn doch abgeholt, weil er Hardtloff untersuchen sollte? Zusammen mit einem gewissen Meyer?«
»Das stimmt. Meyer hat es einige Zeit später erwischt.«
»Ich weiß. Aber was ist aus Kirschbaum geworden? Hat man ihn erschossen, als Hardtloff dann doch starb?«
»Wie kommen Sie darauf? Die zwei sind sich nie begegnet.«
Ich sah Preuß erstaunt an und fragte: »Hat er sich geweigert, ihn zu untersuchen?«
»So kann man es auch nennen«, sagte er. »Er hat sich im Auto vergiftet. Während der Fahrt, vor unseren Augen.«
»Vergiftet?« fragte ich, und er merkte, daß ich ihm nicht glaubte.
»Ich kann Ihnen das beweisen«, sagte er. »Sie müssen sich nur an Letzerich wenden, der wird Ihnen meine Worte in jedem Punkt bestätigen.«
»Wer ist Letzerich?«
»Er war damals der Fahrer. Er war die ganze Zeit dabei. Ich kenne leider seine Adresse nicht, ich weiß nur, daß er aus Köln kam. Aber die Adresse müßte sich ja irgendwie rauskriegen lassen.«
Ich bat ihn, mir diese Fahrt näher zu beschreiben, das Ergebnis ist bekannt. Es dauerte ziemlich lange, zwischendurch brachte uns seine Frau das Bier, ich trank ein Glas, es schmeckte abscheulich. Ich unterbrach ihn kaum, weil er von selbst in die Einzelheiten kam. Besonderen Wert legte er auf den Umstand, daß ihm Kirschbaum auch von seinen Tabletten angeboten hatte. »Und ich habe manchmal tatsächlich Sodbrennen, gar nicht so selten. Stellen Sie sich mal
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