Jakob der Luegner
sitzenlassen, die alte Geschichte von den geheimen deutschen Plänen, die den Russen in die Hände fallen, in der Festung Tobolin, kommt ihm für eine Sekunde in den Sinn. Aber die Pfeife bewahrt ihn vor dieser Torheit, indem sie auf gewohnte Weise das Mittagessen beendet, das heute so besonders unschmackhafte.
Trotz Hardtloffs Tod also, der Tag verläuft trübe, und er tut es auch weiterhin. Inmitten der Arbeit taucht ein von zwei dürren Pferden gezogener Kesselwagen auf, sein Anblick ist uns vertraut, auch das Klappern, man hört ihn schon von weitem.
Im Durchschnitt kommt er jeden dritten Monat, im Sommer seltener, im Winter, wenn die Erde gefroren ist, etwas häufiger, aber immer montags. Sein Besuch gilt dem deutschen Holzhäuschen mit Herz, das kann drei Monate auf ihn verzichten, nicht länger, sonst läuft es über.
Auf dem Kutschbock sitzt ein Bauer aus der Umgebung, kein Mensch weiß, wie er zu dieser Ehre gekommen ist. Wir können ihn nicht ausstehen. Die Deutschen haben ihm, als er das erstemal hier erschienen ist, verboten, mit einem von uns zu reden, und er hält sich streng daran. Am Anfang, lange vor Jakobs Radio, haben wir versucht, ein Wort aus ihm herauszulocken, wir wußten selbst nicht welches, irgendeine Winzigkeit von draußen. Es wäre auch gefahrlos gegangen, aber er hat mit verkniffenem Mund auf dem Kutschbock gesessen und geschwiegen und zu den weit entfernten Posten geschielt, wahrscheinlich hatte er Angst um seinen Kopf oder um seinen Mist. Oder er ist ein Antisemit, oder ganz einfach ein Idiot.
Er hält mit seinem Wagen hinter dem Klosett. Ein Deutscher kommt aus dem Steinhaus und mischt sich unter die Leute, die alle furchtbar beschäftigt tun, sobald das häßliche Klappern zu hören ist. Denn die Arbeit, für die jetzt vier gesucht werden, ist nicht leichter als Kistentragen, man stinkt hinterher wie die Pest und kann sich zu Hause erst waschen.
»Du, du, du und du«, sagt der Deutsche.
Schmidt, Jakob und zwei Unbekannte gehen zähneknirschend hinter das Häuschen und beginnen mit der Dreckarbeit. Sie nehmen die beiden Schaufeln und die zwei Eimer, die an einer Wagenseite hängen, Jakob und der Rechtsanwalt heben den Deckel von der Grube. Dann schaufeln sie das Zeug in die Eimer, die beiden anderen schütten sie aus in den Kessel.
Schmidts angeekeltes Gesicht macht die Sache nicht angenehmer, man muß mit drei Stunden rechnen, nach halber Zeit wird gewechselt, Schaufel gegen Eimer.
»Haben Sie das schon mal gemacht?« fragt Schmidt.
»Zweimal«, sagt Jakob.
»Ich noch nie.«
Der Bauer auf dem Kutschbock sitzt mit dem Rücken zu ihnen. Er nimmt ein kleines Paket aus der Tasche, Pergamentpapier, wickelt es auf, Brot und Speck. Und die tiefe Sonne dazu, weltvergessen genießt er Mittag oder Vesper, Jakob laufen die Augen über.
Der ältere der Eimerträger bettelt den Bauern um einen Bissen an, leise Erklärung, was aus seinem Mittag geworden ist, ein kleines Stück Brot nur, vom Speck reden wir gar nicht. Der Bauer scheint unschlüssig, Jakob beobachtet beim Schaufeln, wie seine einfältigen Augen den Bahnhof nach Aufpassern abgrasen, von denen sich keiner für die Vorgänge hinter dem Herzhaus interessiert.
»Hab keine Angst«, sagt unser Mann, »Du brauchst ja nicht mit uns zu sprechen. Laß bloß ein Stück Brot fallen, verstehst du, aus Versehen. Dafür kann dir keiner. Ich werde es aufheben, daß niemand was merkt … Hörst du? Niemand, nicht mal du selber wirst es merken!«
»Könnten Sie bei diesem Gestank essen?« fragt Schmidt.
»Ja«, sagt Jakob.
Der Bauer greift wieder in seine Tasche, holt das Pergamentpapier heraus, wickelt den Rest von Brot und Speck sorgsam ein, verstaut ihn. Entweder er ist satt, oder der Appetit ist ihm tatsächlich vergangen, nur noch ein reichlicher Schluck aus einer grünen Feldflasche, er wischt sich mit seinem schmutzigen Ärmel über den Mund.
»Arschloch«, wird er genannt, aber nicht einmal dieser wüste Name macht ihn lebendig.
Kurz vor dem Wechsel wird Schmidt auffällig langsam beim Schöpfen, hält schließlich ganz ein, behauptet, nicht mehr zu können. Daß sich ihm alles vor den Augen dreht, schwarze Flecken, er lehnt sich schwitzend an die Rückwand des Klosetts.
»Das liegt am fehlenden Mittag«, sagt Jakob.
Damit ist Schmidt nicht geholfen, große Schweißperlen wälzen sich auf seinem Gesicht, er versucht sich zu übergeben, doch es kommt nichts. Jakob schaufelt an seiner Stelle einen Eimer voll, Wartezeit für
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