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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jurek Becker
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sagt der Posten. Er gibt einem zweiten Posten ein Handzeichen, der löst die Sperre und stößt das Tor auf.
    Man fährt weiter, nun in den freien Teil der Stadt, das Straßenbild verändert sich. Passanten ohne gelbe Sterne werden Kirschbaum ins Auge springen, Geschäfte mit Auslagen, nicht gerade übervoll, doch Kunden kommen und gehen, und vor allem an den Straßenrändern Bäume, denke ich.

    Das »Imperial« am neuen Markt gibt einen deutschen Film.
    Hin und wieder ein entgegenkommendes Auto, eine Straßenbahn, Soldaten in Ausgehmontur mit zwei Mädels am Arm. Kirschbaum schaut mäßig interessiert, die Bilder können ihm nicht viel erzählen, können keine Erinnerungen treiben, wie bei Jakob beispielsweise, denn dies ist nicht seine Stadt.
    »Wenn ich recht überlege, Sie müßten im Grunde doch froh sein, endlich wieder einen neuen Patienten unter die Finger zu bekommen«, sagt Preuß.
    »Darf ich erfahren, wie Sie auf mich gekommen sind?«
    »Das war nicht schwer. Hardtloffs Leibarzt wußte sich keinen anderen Rat, er verlangte die Hinzuziehung eines Spezialisten.
    Aber finden Sie in dieser Zeit einen Spezialisten.
    Wir haben die Einwohnerlisten durchgesehen und sind dabei auf Sie gestoßen. Der Leibarzt kennt Sie.«
    »Er kennt mich?«
    »Natürlich nicht persönlich. Nur Ihren Namen.«
    Man kommt in die besseren Wohnviertel, die Häuser werden niedriger, stehen vereinzelter, mehr Grün, mehr Bäume auch.
    Kirschbaum öffnet die Ledertasche, entnimmt ihr ein Röhrchen, schraubt es auf, schüttet sich zwei Tabletten in die Handfläche.
    Fragende Blicke von Preuß.
    »Gegen Sodbrennen«, erklärt Kirschbaum. »Möchten Sie auch?«
    »Nein.«
    Kirschbaum schluckt die Tabletten, schraubt das Röhrchen zu, zurück in die Tasche, er sitzt wie vorher.
    »Ist Ihnen jetzt wohler?« fragt Preuß nach kurzer Zeit.
    »So schnell wirken sie nicht.«

    Es geht hinaus aus der Stadt, wieder eine Kontrolle, es geht gewissermaßen über Land, Hardtloff hat sich ein verschwiegenes Plätzchen gesucht. Zu beiden Seiten Birkenwald, Preuß sagt: »Sie werden natürlich wieder zurückgebracht, wenn alles erledigt sein wird.«
    Kirschbaum stellt die Tasche nun doch auf die Erde, die ganze Fahrt stand sie auf dem Schoß, so dicht vor dem Ziel nun doch auf die Erde, er lehnt sich tiefatmend zurück.
    »Wenn Sie mir jetzt eine Zigarette geben würden?«
    Preuß gibt sie ihm, auch Feuer, erwähnen wir wieder Meyers schlecht überspielte Fassungslosigkeit. Kirschbaum erleidet einen leichten Hustenanfall, beruhigt sich bald, wirft die halb aufgerauchte Zigarette aus dem Fenster.
    »Andererseits kann ich Ihre Bedenken irgendwo verstehen«, so nimmt Preuß einen lange verloren geglaubten Gesprächsfaden wieder auf.
    »Ich habe keine Bedenken mehr«, sagt Kirschbaum.
    »Doch, doch, ich sehe sie Ihnen an. Ihre Lage ist nicht eben beneidenswert, ich verstehe das schon. Wenn es Ihnen gelingt, den Sturmbannführer zu retten, stehen Sie wohl nicht sehr günstig vor ihren eigenen Leuten da. Und wenn es Ihnen nicht gelingt …«
    Preuß unterbricht seine durchaus prägnante Analyse, der Rest wäre taktlos, außerdem überflüssig, auch bis hierher wird Kirschbaum begreifen, welcher Wert Hardtloffs Fortleben beigemessen wird. Meyer dreht sich zum erstenmal während der Fahrt nach hinten um, sein Gesicht verbirgt einem nicht, daß auch er die Fortsetzung der preußschen Rede kennt, vor allem nicht, was er von dieser Fortsetzung hält, in dieser Absicht, sozusagen, dreht er sich für einen Augenblick. Kirschbaum beachtet ihn nicht, er scheint hinreichend mit sich selbst beschäftigt. Preuß versucht noch ein, zwei belanglose Sätze, aber Kirschbaum beteiligt sich nicht mehr.
    Dann ist man vor der Villa Hardtloff. Eine Auffahrt durch wuchernden Park, Blumenrondell mit ausgetrocknetem Zierfischteich, alles ein wenig vernachlässigt, aber prächtig angelegt, sehr prächtig.
    »Wir sind da«, sagt Preuß zum immer noch abwesenden Kirschbaum und steigt aus.
    Die Freitreppe herunter hastet der Leibarzt, ein kahlköpfiger kleiner Mann in glänzenden Stiefeln und aufgeknöpfter Uniformjacke, verwahrlost aussehend wie der Garten.
    Seine Eile deutet auf Sorge oder Angst, vermutlich auf Angst, er trägt hier die Verantwortung. Für Hardtloffs Gesundheit und, wie man gehört hat, für das heutige gewagte Experiment. Schon von den oberen Stufen herab ruft er: »Es ist wieder schlimmer geworden! Wo bleibt ihr denn so lange?«
    »Wir mußten warten, er war nicht zu

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