Jakob der Reiche (German Edition)
Familie wohnte. Gemeinsam gingen sie die breite Treppe in die obere Etage hinauf. Es war bereits einige Wochen her, seit Jakob zum letzten Mal das Kontor betreten hatte, in dem Ulrich und Georg gemeinsam arbeiteten. Es kam ihm vor, als wären alle Farben ein wenig dunkler geworden und nicht mehr ganz so leuchtend, wie er sie in Erinnerung hatte.
Jakob dachte nicht daran, zuerst zu reden. Wenn sie etwas von ihm wollten, sollten sie den Anfang machen. Georg starrte auf den Boden, und Ulrich hüstelte einige Male, während er mehrere Bogen Papier von einer Seite seines Tisches auf die andere schob. Er war alt geworden mit seinen sechzig Jahren – alt und gebeugt unter der Last der Verantwortung für ein Handelsunternehmen, dessen Niederlassungen sich inzwischen über den ganzen Kontinent erstreckten.
»Wir haben dir bisher fast immer freie Hand gelassen«, sagte er schließlich. »Doch während du mit deinen waghalsigen Geschäften auch über unsere Köpfe hinweg in immer neue Risiken gegangen bist, hast du dich kaum je dafür interessiert, wie hart und stetig wir hier in diesem Raum unseren Fernhandel ausgeweitet haben, wie wir uns neue Märkte erschließen mussten, wie wir den Handel mit Kolonialwaren von Venedig nach Lissabon und Antwerpen verlagert haben und wie wir uns auch hier in Augsburg nach wie vor darum bemühen, von den Patriziern anerkannt zu werden.«
»Könnte es sein, dass sich in deiner langen Vorrede ein ganz anderer Vorwurf verbirgt?«, fragte Jakob ungerührt. »Ich habe nie bezweifelt, dass ihr beiden ebenso gut und hart arbeitet wie ich. Trotzdem begegnet ihr mir seit jeher immer nur wie einem, den ihr eigentlich lieber mit Tonsur und Soutane sehen würdet. Ich bin der jüngste von euch. Aber ich bin nicht der Bankert, als den ihr mich oft genug behandelt habt.«
»Das ist nicht wahr!«, protestierte Georg sofort. »Es geht nur darum, dass wir uns deine spontanen und unbedachten Entscheidungen nicht mehr länger leisten können.«
»Er meint die Gelder, die du immer wieder dem König in den Rachen schmeißt.«
»Ich bestreite nicht, dass Habsburg uns mehr als eine halbe Million Gulden schuldet. Aber zählt einmal zusammen, wie hoch der Gewinn ist, den wir durch diesen Geldeinsatz verdient haben. Er beträgt längst ein Vielfaches des Einsatzes. Jahr um Jahr holen wir uns ein Vermögen aus den Bergwerken Tirols, aus dem ungarischen Kupfer, aus den Mautvorteilen und aus vielen anderen Vergünstigungen, die ich Maximilian abgerungen habe. Ihr seht nur Darlehen und Kredite auf der Sollseite. Nach den Büchern werden wir wahrscheinlich mit diesen Summen stets im Minus bleiben.«
Sie nickten und wunderten sich, dass er ihnen so schnell recht gab. So sanft und nachgiebig waren sie ihn nicht gewohnt. Und dann sagte er auch schon, was er wirklich meinte: »Doppelte Buchführung, Georg, vierfache, wenn du willst – das ist es, was ihr braucht, um den Überblick zu bekommen. Alles vermehrt sich doch in unseren Händen, die Gulden, das Vermögen, die Ländereien, die Warenlager, die Angestellten und die Knechte, die in Dutzenden von Faktoreien und Agenturen für uns arbeiten. Wenn es dem König gut geht, werden auch unsere Konten fett. Wenn es ihm schlecht geht, noch viel mehr.«
»Ich sehe eher Schwindsucht auf dem Konto Maximilians«, knurrte Georg beleidigt. »Weißt du denn überhaupt, was uns sein Schweizer Abenteuer insgesamt gekostet hat? Du hast ihn finanziert, als er gegen jede Vernunft zusammen mit dem Bund der Schwäbischen die Reichsreform auch bei den Eidgenossen durchsetzen wollte.«
»Das, lieber Georg, ist und bleibt der Unsinn, den man auf den Straßen und in den Herbergen beim schlechten Bier hört. Nein, dieser Schwabenkrieg gegen die Schweizer ist nur deshalb für Maximilian verloren gegangen – und hätte ihn fast das Leben gekostet –, weil ich nicht mutig genug war, weil ich geglaubt habe, dass wir mit hunderttausend Gulden die Schweiz erobern könnten. Ja, so viel haben wir ihm für diesen schlecht gemachten, jämmerlichen Kriegszug geliehen. Ich gebe zu, es war ein Fehler. Wir hätten ihm das Fünffache zur Verfügung stellen sollen, denn damit hätte Habsburg sich die ganze Schweiz auf einen Streich einverleiben können.«
»Heißt das, du hast gewusst …«
»Nein«, sagte Jakob, »ich habe nicht gewusst, wie schlecht der König seine Kriege plant, wie mangelhaft die Landsknechte ausgebildet sind und wie mutig die Schweizer auf ihrer Unabhängigkeit bestehen
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