Jakob der Reiche (German Edition)
Erscheinung, die auf ihn wie ein Himmelsschiff aus der Offenbarung Johannes wirkte. Aber die goldene Galeere hatte nichts mit dem Evangelisten Johannes zu tun. Sie war vielmehr das offizielle Staatsschiff der Republik, das sich nach dem Evangelisten Markus nannte und von ihm den geflügelten Löwen als Wappentier übernommen hatte.
Das Prunkschiff hatte an diesem Sommerabend keine Segel gesetzt. Nur ein riesiges rotes Seidenbanner am Großmast blähte sich mit weiten, wolkigen Bewegungen auf und wehte bis zu den Balkonen der Palazzi am Rande des Kanals. Wie riesige Flügel hoben und senkten sich die Riemen im präzisen Gleichtakt.
»Assassini … un attentato contro la regina della tristezza«, sagte der Gondoliere mit einem leise klagenden Singsang. »Mörder … ein Attentat auf die Königin der Traurigkeit …«
»Was ist geschehen?«, fragte Ulrich Fugger.
»Zuerst haben die hohen Signori dort vorn auf dem Bucintoro ihren Mann und ihren Sohn ermordet, dann wollten sie die Insel Zypern ganz für Venedig haben … ohne die Königin. Das Attentat geschah bereits am Gründonnerstag, aber die Bevölkerung hat es erst heute von einem einlaufenden Schiff erfahren …«
»Und deshalb fährt der Bucintoro durch den Canal Grande?«, fragte Ulrich verwundert.
»Es ist eine scheinheilige Geste der Verehrung für die unglückliche Tochter Venedigs«, antwortete der Gondoliere verschwörerisch. Überall wurde es plötzlich still. Selbst auf den kleinen Frachtkähnen in den Seitenkanälen nahmen die Männer nach und nach die Mützen ab, und die Frauen bekreuzigten sich.
»Der Doge und der Rat der Zehn müssten eigentlich am Abend ein Feuerwerk abbrennen, denn durch Caterina Cornaros Tod erben sie auf der Insel im Mittelmeer ein Gebiet, das fast so groß ist wie die Besitzungen der Republik zwischen Padua und Triest bis zu den Alpen.«
Es blieb ihnen also nichts anderes übrig, als zu warten. Erst als die riesige goldene Galeere zwischen all den anderen Schiffen die geöffnete Rialto-Brücke passiert hatte, konnten sie am Wassereingang jenes Palazzos anlegen, in dem sie übernachten wollten. Es war das Haus des wichtigsten Handelspartners beider Fuggerfamilien in der Lagunenstadt.
Jakob und Ulrich wurden von einem Verwandten empfangen. Es war ihr Vetter Lukas aus der Familie der Fugger vom Reh. Sofort erinnerte sich Jakob wieder daran, wie er ihm und Ulrich die Zunge herausgestreckt hatte – damals, als der Kaiser mit seinem Sohn und zerlumptem Gefolge in Augsburg eingezogen war. Und wie Jakob trug er den Namen seines Vaters.
»Ich konnte euch leider nicht entgegenkommen«, entschuldigte sich der junge, für sein Alter viel zu prächtig gekleidete Mann. »Ihr seht ja, welches Durcheinander auf den Kanälen herrscht.«
»Sollen wir wirklich im Trauerhaus wohnen?«, fragte Ulrich. »Ich habe eben erst gehört, warum der Bucintoro durch den Canal Grande fährt.«
Gleich darauf erreichten sie ein großes Haus mit vielen Fenstern, bei dem aber im unteren Teil bereits der Putz abblätterte. Sofort kamen Diener gelaufen und griffen alle gleichzeitig nach dem Gepäck.
»So wie dieses sind hier fast alle Häuser und Palazzi der Kaufleute gebaut«, erklärte Lukas ganz so, als habe er Ulrichs besorgte Frage überhaupt nicht gehört. »Zum Wasser eines Kanals hin breiter als zur Gasse an der Rückseite, alles stabil auf Baumstämmen im Schlick der Lagune, aber es gibt keine Warenkeller wie bei uns.«
Sie gingen über eine schräge Toreinfahrt, und Lukas erklärte zu Jakob gewandt: »Hier am Wasser, das ist der Haupteingang. Dort rechts und links kannst du die ersten Warenlager und den Innenhof dahinter sehen. Ich denke, dass die Augsburger große Augen machen würden, wenn sich einer von uns einen derartigen Palast mitten in der Stadt bauen würde …«
Er lachte, dann stiegen sie auf Marmorstufen bis in die erste Etage. »Hier ist das noble Stockwerk der Herrschaften … der Portego oder Salotto«, sagte er und deutete mit einer weiten Handbewegung über den riesigen Raum, der mit wertvollen Tischen und Stühlen, kostbaren Teppichen und farbenfrohen Gemälden an den Wänden bis zu den großen Bogenfenstern zum Kanal hin verschwenderisch ausgestattet war. »Dahinter folgen die Kontorräume und zur anderen Seite die Wohnzimmer der Besitzer und ihrer Familien. Hier aber schlägt das Herz jedes Handelshauses in Venedig.«
»Du wohnst auch hier?«, fragte Jakob verwundert.
Lukas hustete leise, dann sagte er: »Eine
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