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Jakob der Reiche (German Edition)

Jakob der Reiche (German Edition)

Titel: Jakob der Reiche (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R.P. Mielke
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Barette, wie sie in Venedig üblich waren. Auch sein Wams unter der Schaube war zumeist farbenfroher als üblich in der Stadt. Dennoch benahm er sich, als wäre es ihm gleichgültig, wenn ihn die jungen Herren und die Mädchen von Augsburg mit großen Augen ansahen, sobald er langsam am alten Augsburger Rathaus mit seinen drei wuchtigen Gebäuden und ihren schmalen Glockentürmchen vorüberging. Diese Spaziergänge waren der einzige Luxus, den sich Jakob zwei- oder dreimal pro Woche leistete.
    An den Sonntagen kamen regelmäßig die Schwestern mit ihren Ehemännern zu Besuch. Nach dem Mittagsmahl, wenn von den Straßen und aus den Höfen nur noch vereinzelte Kinderstimmen laut wurden, verließen sie bei gutem Wetter das Haus am Rohr, um zwischen den Getreidefeldern und den Blumenwiesen spazieren zu gehen. Da die Mutter bei derartigen Ausflügen nicht mehr mitgehen konnte, blieb Jakob bei ihr.
    Anfänglich machte es ihm noch Vergnügen, von seinen Gondelfahrten in Venedig, von den Festen und von den Kunstgegenständen zu erzählen, die er überall gesehen hatte. Dann leuchteten seine Augen heller als sonst, und er bekam Sehnsucht nach der Lagunenstadt, nach Caterina Cornaro oder zumindest nach deren Bildnis. Doch nach und nach verschloss er seine Erinnerungen und Träume in sich. Sie wurden ihm zu wertvoll, um sie mit anderen zu teilen.
    Bei aller Geschäftigkeit interessierte sich Jakob für alles, was sich entlang der Fuggerschen Handelsrouten und in der Umgebung der Faktoreien zutrug. Die Zeiten waren unruhig, und die zunehmenden Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und Reichsständen, Schwäbischem Bund und den Rittern waren Anlass zu ständiger Besorgnis. Manchmal, wenn er viele Stunden lang über Zahlen und Warenlisten gesessen hatte, hielt er plötzlich inne, ließ das Geschriebene vor seinen Augen verschwimmen und dachte an Herrieden zurück, an Abt Wolfgang und die vielen Jahre, die er im Kreis der Kleriker zugebracht hatte.
    Die Erinnerung an diese neun Jahre kam ihm wie ein Traum vor, wie die Erinnerung an eine andere Welt, zu der er keinen Zugang mehr hatte. Er war noch nicht ganz in ihr gewesen, aber er hatte sie bereits durch die Tür gesehen, die für ihn mit der Tonsur und den niederen Weihen geöffnet worden war. Eigentlich wollte er nicht mehr daran zurückdenken. Trotzdem erfasste ihn hin und wieder eine eigenartige, traurige Bitterkeit bei dem Gedanken an jenes verlorene Refugium, von dem er nicht sagen konnte, ob es für ihn der Weg ins Paradies oder geradezu in die Hölle gewesen wäre.
    Auch in der Welt, die ganz allmählich die seine wurde, kam ihm vieles verworren, bedrohlich und unvorhersehbar vor. Überall flackerten Bauernaufstände auf, und von einigen Kanzeln predigten Abtrünnige sogar gegen die Kirche und den Heiligen Vater in Rom.
    »Ich weiß nicht, ob du es auch so empfindest«, sagte er eines Sommertags zu seinem Bruder. »Mir kommt es manchmal vor, als würde ich auf irgendetwas warten.«
    »Und was wäre das?«, fragte Ulrich und blickte auf.
    »Genau das weiß ich nicht«, antwortete Jakob mit einem leisen Seufzer. »Ich weiß noch nicht einmal, wie ich meine Empfindungen bezeichnen soll. Es ist wie bei einem Kind, das im Dunkeln Schritt für Schritt vorangeht und dabei hofft und zugleich fürchtet, dass es im Unsichtbaren etwas Schönes oder auch Schreckliches berührt.«
    Sie hatten gerade wieder ein gutes Geschäft mit Seide aus Venedig gemacht und erwarteten nun eine Wagenladung mit kostbaren Pelzen aus Breslau. Zwei Frankfurter Geschäftspartner hatten für Gewürze bezahlt, die erst vor zwei Monaten geliefert worden waren, und Georg hatte aus Nürnberg berichtet, dass die nordischen Gelder für den Vatikan wieder zunahmen.
    »Wenn du mich fragst, können wir rundum zufrieden sein«, sagte Ulrich und legte die Schreibfeder für diesen Tag ab. »Ich will mein Tagewerk für heute beenden. Ich habe der Veronika versprochen, dass wir bei schönem Wetter ein wenig mit einem Kahn auf dem Lech herumfahren.«
    »Was? Du willst Kahn fahren? So früh am Tag und mitten in der Woche?«
    »Du kommst ja gelegentlich auf den Märkten herum. Aber mein Weib wirft mir vor, dass ich allmählich kränklich aussehe und selbst im Sommer kaum Farbe im Gesicht habe.«
    Nur drei Tage später kam Ulrich spätabends von einer Versammlung im Rathaus zurück.
    »Hast du das nun gewusst – oder nur geahnt?«, fragte er aufgekratzt und mit etwas zu schwerer Stimme. Er roch stärker nach Bier, als es

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