Jakob der Reiche (German Edition)
Wald hier zu schmal.«
»Das sehe ich auch«, entgegnete Jakob. »Und warum haben sie die Ladung von eurem zweiten Wagen nicht angerührt?«
»Sie gehört einem anderen Kaufherrn. Der erste Wagen gehört Herrn Baumgartner«, sagte der Pferdeknecht, »der zweite den Fuggern vom Reh. Und die zahlen gut, damit ihr Eigen nicht angerührt wird.«
Jakob zog die Brauen zusammen. Was er da hörte, bestätigte einige Gerüchte, von denen Georg aus Nürnberg schon einmal berichtet hatte. Doch wenn es so war, wie der Pferdeknecht berichtete, dann musste Lukas vom Reh sehr gute Verbindungen zu ebenjenen Raubrittern haben, die seine eigene Handelsware unangetastet ließen. Er warf einen Gulden in die ausgestreckten Hände des zweiten Fuhrknechts.
»Sorgt dafür, dass die beiden armen Seelen anständig begraben werden!«, rief er ihm zu. »Und vom Rest lasst euch Bier für den erlittenen Schmerz einschenken.«
»Gott lohne es Euch, Herr!«
Sie rafften sich auf, knieten fast vor ihm nieder und neigten die Köpfe wie vor einem Fürsten. Jakob presste die Schenkel gegen den Leib seines Pferdes und zwang es, an den beiden Toten und zwischen den beiden Wagen hindurch weiterzugehen. Schon nach wenigen Minuten erreichte er den Ortsrand von Ramsau. Er ritt direkt bis zum Rathaus und teilte noch aus dem Sattel heraus den herankommenden Männern mit, was er gesehen hatte.
»Schickt einen Boten zum jüngeren Lukas vom Reh nach Augsburg!«, rief er ihnen zu und warf erneut eine Münze, ehe er weiterritt. Auf den nächsten Meilen kam er gut voran. Weder in Oberammergau noch in Ettal oder Garmisch gab es einen Aufenthalt. Erst nach Mittenwald wurde der Weg beschwerlicher. Jakob spürte den langen Ritt bereits in allen Knochen. Aber er wollte nicht aufgeben, sondern noch vor Mitternacht Tirol erreichen. Bis nach Seefeld waren es kaum zwanzig Meilen. Aber sie kamen ihm länger vor, als er vermutet hatte.
Als die Dämmerung hereinbrach, wurde es noch gefährlicher auf der schmalen Bergstraße. Die Nacht war klar und sternenhell. Deshalb vertraute Jakob dem Spürsinn seines Pferdes und ließ es weitergehen. Kurz vor Mitternacht ritt er in Innsbruck ein. Er wandte sich direkt zum Haus der Fuggerschen Faktorei. An den Ställen brannte kein Licht mehr, und auch die Lagerhäuser waren dunkel. Nur im ersten Geschoss leuchtete noch das Licht einer Kerze. Jakob stieg von seinem Pferd, reckte sich und schlug die Zügel um einen Balken neben dem Tor der Faktorei. Er musste einige Schritte gehen, bis er sich wieder einigermaßen gerade bewegen konnte. Dann klopfte er gegen die Eingangstür und wartete, bis ihm Hans Suiter mit einem Leuchter entgegenkam. Der trug bereits ein langes Nachtgewand und eine bis auf die Schultern herabfallende spitze Schlafmütze.
»Gott sei’s gedankt, dass du endlich da bist«, seufzte der ehemalige Bürgermeister von Innsbruck. »Hier rennen bereits die Kufsteiner und einige andere Kaufleute dem Fürsten die Türen ein. Jeder von ihnen will ihm Kredit geben und das Geld aufdrängen, das er braucht, um den Krieg mit Venedig noch einmal abzuwehren.«
»Krieg?«, fragte Jakob ohne jeden Sinn für die Ironie dieser Worte. »Ist es nur eine Drohung, oder macht Venedig jetzt tatsächlich Ernst?«
»Der versuchte Überfall auf den Markt von Bozen hat das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht«, bestätigte Hans Suiter. »Die Abgesandten des Dogen sind vorgestern Nachmittag hier eingetroffen. Sie fordern in einem Ultimatum mehr, als Erzherzog Sigismund zahlen kann. Und wenn er nicht zahlt, verliert er den gesamten Süden Tirols.«
Stunde um Stunde saßen sie bei Kerzenlicht zusammen und besprachen alle Einzelheiten, die Hans Suiter bis zu diesem Augenblick in Erfahrung gebracht hatte. Der ehemalige Bürgermeister von Innsbruck hatte sich für diese Besprechung nicht einmal angekleidet. Kein Bediensteter, keiner der Buchhalter aus der Faktorei und kein Küchenmädchen störte die beiden Männer. Als einziges Zugeständnis an den hohen Gast hatte Suiter einen großen Krug von seinem besten Tiroler Rotwein auf den Tisch gestellt. Jakob ärgerte sich darüber, dass er der ungewohnten Anstrengung Tribut zollen musste. Er fühlte sich wie zerschlagen. Doch je näher der Morgen rückte, umso mehr verflogen seine Müdigkeit und der dumpfe Schmerz in seinem Körper.
»Eigentlich kann der größte Verschwender der Alpen noch von Glück reden. Dass ihm die Venezianer nur hunderttausend Gulden abnehmen wollen, erscheint mir schon
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