Jakob der Reiche (German Edition)
Häuser tun konnten. Sie beschäftigten sich mit den Verrichtungen, die beim Schein der Herdfeuer und beim brennenden Kienspan durchgeführt werden konnten.
Jakob verbrachte die kurzen Tage und langen Abende überwiegend vor seinen Büchern. Ihm war klar, dass Sigismund die Bleigruben von Primör endgültig an Venedig verloren hatte. Auch in Bozen behielten die Händler von San Marco die Oberhand. Und was die Darlehen anging, so hatte Sigismund jetzt gute Gründe, ihre Rückzahlung zu verzögern.
Von seiner Familie hatte sich Jakob zurückgezogen. Er lehnte sämtliche Einladungen zu den verschiedenen Zusammenkünften seiner Geschwister ab. Mehrmals wurde die alte Mutter abgeholt und ins Haus am Rohr zurückgebracht. Dann kehrte Ruhe bis zum Jahresende ein.
Irgendwann ließ Conrad Peutinger anfragen, ob er ihn am Namenstag des heiligen Papstes Silvester zu einem Essen in sein Haus einladen und einem Gast aus Portugal vorstellen dürfe. Jakob stimmte dankbar zu. Er schätzte die Gespräche mit seinem gelehrten Freund – auch wenn sie in einigen weltlichen und leiblichen Fragen gegensätzlicher Ansicht waren. Peutinger hatte eben keine neun Jahre in einem Stift verbracht …
Schon am Nachmittag verließ er das Haus am Rohr und ging zu Peutinger hinüber. Der Freund sah ihn, wie er die verschneite Straße entlangkam, empfing ihn bereits an der Tür und führte ihn hinein.
Peutingers schwarzer Talar und sein dunkelbrauner Vollbart waren inzwischen stadtbekannt. Doch dann stutzte Jakob: Der Besucher aus Portugal ähnelte ihm sehr, ja er glich ihm fast wie ein Zwilling.
»Martin Behaim arbeitet als Kartograph in Portugal«, erklärte Conrad. »Jetzt ist er für ein Jahr nach Nürnberg zurückgekehrt. Von mir will er wissen, wo einige römische Straßenkarten und die ersten Portulane zu finden sind – diese geheimnisvollen Seekarten mit den Rosetten und Linien nach allen Seiten.«
»Es ist erstaunlich, wie genau die Küstenlinien auf diesen Streckenkarten für Kapitäne eingezeichnet sind«, meinte Behaim.
Sie sprachen über alles, was in der letzten Zeit die Welt bewegt hatte. Nach dem schönen, ruhigen Abendessen erklärte der Gast seinen großen Traum: »Ich will die ganze Welt so darstellen, wie sie noch nie zuvor gezeigt worden ist: als einen kugelförmigen Himmelskörper, auf dessen Oberfläche alle Meere miteinander verbunden sind und die Kontinente wie große Inseln erscheinen.«
Sie saßen in Peutingers bis an die Holzdecke mit Büchern, Folianten und Landkartenrollen vollgestopftem Arbeitszimmer. Es gefiel Jakob, seit er es zum ersten Mal gesehen hatte. Obwohl sein eigener Arbeitsraum ganz ähnlich eingerichtet war, fehlten dort die vielen in Schweinsleder eingebundenen Bücher und Schriften.
Behaim nahm ein Pergament mit der gezeichneten Karte von Europa und legte es vor sich auf seinen Schreibtisch. Dann fasste er die Seiten und bog die Karte zu einer Röhre. Er steckte einen Arm in die Röhre und hielt sie fest. Mit dem Zeigefinger der anderen Hand fuhr er langsam über die eingefärbten Meere.
»Es könnte so sein«, sagte er mit leuchtendem Gesicht. Die beiden anderen strahlten ihn an. Peutinger und Behaim vergnügten sich ebenso wie Jakob an der Demonstration.
»Und nun stellt euch vor, ich würde mit einem Schiff statt mit meinem Finger überall dort fahren, wo Meere eingezeichnet sind. Wo würde ich zum Schluss wieder ankommen?«
»Mit sehr viel Glück vielleicht dort, wo du ausgelaufen bist«, antwortete Jakob sofort.
»Genau darum geht es«, sagte Martin Behaim und lachte. »Und deshalb haben diejenigen recht, die jetzt überall aufbrechen, um den westlichen Weg nach Indien zu finden. Nicht über Land bis nach Cathay wie dieser venezianische Lügner Marco Polo oder in Richtung Orient wie die Kreuzfahrer, sondern mit Segelschiffen in Richtung Westen. Die große Frage ist nur, ob dort nicht viel mehr Wasser ist, als wir heute ahnen.«
»Oder vielleicht sogar ein Land, von dessen Größe und Ausdehnung wir uns heute noch keine Vorstellung machen können«, warf Peutinger ein. Er ging ein paar Schritte auf und ab. Dann sagte er: »Es wird euch vielleicht unglaublich vorkommen, aber ich bin fest davon überzeugt, dass der Vatikan bereits über neue Länder und Kontinente im Westen Bescheid weiß. Die Portugiesen sollen bereits vor mehr als zwanzig Jahren etwas entdeckt haben, das unter keinen Umständen bekannt werden darf.«
Jakob verstand sofort. »Neue Länder und neue Rohstoffe?«,
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