Jakob der Reiche (German Edition)
standen einige Häuser, die er im Lauf der Zeit mindestens ein Dutzend Mal umschritt. Nach und nach merkte er sich alle Türen, alle Fenster, alle Dachgauben und sämtliche Verzierungen der Gebäude. Er hätte sie mit geschlossenen Augen nachzeichnen können, so scharf und deutlich waren seine Beobachtungen.
Obwohl er längst zu den reichsten Bürgern von Augsburg zählte, gewöhnte er sich in diesen Wochen an, auch auf die Märkte zu gehen und sich anzusehen, was die Bauern aus der Umgebung an Geerntetem feilboten und wie kleine Krämer ihre Waren auslegten, deren Wert geringer war als das, was er oder Ulrich Tag für Tag in den Opferstock warfen.
Zum Erstaunen seiner Familie und der Verwandten, der Fugger vom Reh, ließ er sich sogar bei den sogenannten Geschlechtertänzen sehen. Bisher hatte er niemals Interesse für das Tanzvergnügen im großen Saal gezeigt, bei dem die Patrizier von Augsburg, die Zunftmeister und nahezu alle Kaufleute regelmäßig zusammenkamen, um sich selbst darzustellen und ihren Reichtum, den sie in Form von prächtigen Gewandungen und dem kostbaren Schmuck ihrer Frauen und Töchter zur Schau trugen.
Während die Jüngeren ihr Vergnügen an Musik, Tanz und koketten Scherzen fanden, beobachteten die Älteren, wer mit wem sprach, welche Aufforderungen zum Tanz ergingen und wo sich möglicherweise neue Geschäftsverbindungen ergaben. Und jedermann glaubte, dass Jakob Fugger nicht tanzte, weil er es bei den Klerikern nicht gelernt hatte.
Räuber und Wegelagerer
Es war, als sei durch die Innsbrucker Heirat eine neue Eiszeit in den Beziehungen zwischen den Wittelsbachern und den Habsburgern ausgebrochen, deren größte Gletscher sich über das Inntal und die Residenz des Erzherzogs in Innsbruck gelegt hatten. Bereits wenige Wochen nach der heimlich vollzogenen Trauung stand fest, dass weder der Papst in Rom noch der Kaiser damit einverstanden waren.
»Wir sollten vorsichtig sein«, sagte Ulrich, nachdem er wortlos mehrere Schreiben auf seinem Tisch gesichtet hatte. »Wer jetzt nicht aufpasst, kann sehr leicht zwischen den ganz großen Mühlsteinen zermahlen werden.«
»Keine Sorge«, beruhigte ihn Jakob. »Ich habe gute Männer, die mir berichten, was in Salzburg oder Wien, Venedig und auch Bozen gedacht und vorbereitet wird.«
»Trotzdem kannst du nicht verhindern, dass sich Sigismund immer weiter isoliert. Wer soll ihm helfen, wenn er jetzt wieder einmal den Venezianern den Südtiroler Handel aus der Hand reißen will. Sein eigener Landtag wird ihm bestenfalls die Steuern kürzen, wenn er erneut davon anfängt.«
Jakob lächelte nur vielsagend, und Ulrich schüttelte verstimmt den Kopf. »Ich verstehe dich nicht. Weißt du eigentlich, wie viel Kredit wir Sigismund bisher gegeben haben.«
Jakob stand auf, ging wortlos zu dem zugeklappten großen Buch, in dem auf Doppelseiten sämtliche Gewinne und Verluste eingeschrieben waren. Er blätterte einige Seiten hin und her, bewegte mit flinken Fingern mehrere Kugeln auf dem Abakus neben dem Buch.
»Hundertfünfundzwanzigtausend Gulden und sechsundachtzig Kreuzer, einschließlich der Summen, die du allein für Geschäfte mit ihm ausgegeben hast. Hierfür ist leider nicht alles so gesichert, wie wir es vereinbart hatten. Nur für meinen Teil gibt es statt Schuldscheinen Anteile an Tiroler Bergwerken. Das ist ein gravierender Unterschied, Ulrich.«
»Ich bin noch immer der Prinzipal in unserer Firma, und ich muss wissen, was du als Jüngster planst!«, erklärte Ulrich verstimmt.
»Nun gut«, lenkte Jakob ein. »Bisher habe ich nur aus meinem und der Mutter Anteil investiert. Aber vielleicht kommt noch in diesem Jahr der Zeitpunkt, an dem wir alle entscheiden müssen, ob wir ganz Tirol für uns bekommen wollen oder nicht.«
»Ganz Tirol?«, fragte Ulrich erstaunt. »Du kannst doch nicht den Landesherrn kaufen! Außerdem gibt es immer noch andere Kaufleute, bei denen er verschuldet ist. Allein die Baumgartner aus Kufstein bekommen gegenwärtig mehr als du und ich zusammen.«
»Deswegen können sie auch nichts mehr nachschießen, wenn Sigismund erneut eine große Summe braucht.«
»Und du weißt bereits, dass er sie brauchen wird.«
»Ja, Ulrich«, sagte Jakob trocken. »Was glaubst du denn, womit ich mich die ganze Zeit in Innsbruck befasst habe?«
Es kam genauso, wie er es vorausgeplant hatte. Nein, er hatte nicht dafür gebetet und nach den Messen nicht mehr als üblich in die Opferstöcke gelegt. Trotzdem konnte er vor Erregung kaum
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