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Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles

Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles

Titel: Jakobsweg - Ein Weg nicht nur für Gscheitles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Gast
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nur schwätzen!’ sollten mir Ihre Blicke wohl mitteilen. Mir war das Resümieren über meine seitherige Wanderschaft derart zu wider, dass ich mich äußerst wortkarg gab. Für mich bedeutete zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedwede Reflexion hierüber meinen Elan zum Weitermarsch zu schmälern und damit Gefahr zu laufen, dass mein Durchhaltewillen gebrochen werden könnte. Des Öfteren schon mussten einige meiner Gesprächspartner hinnehmen, dass ich spontan, unversöhnlich und äußerst barsch reagierte, wenn auch nur ansatzweise ein Scheitern meines Unterfangens in Erwägung gezogen wurde.
    Ich besichtigte noch das Kathedralenmuseum sowie die Kathedrale selbst mit ihrem schönen Hauptaltar, warf einen kurzen Blick auf den neugotischen Bischofspalast und machte mich daran, meinen vollgefressenen Bauch abzuwandern. Erstmals auf meiner Wanderschaft musste ich meinen Hüftgurt am Rückenrucksack weiter machen. Nach einem Spaziergang von 4,5 km kehrte ich in der Herberge in Murias de Rechivaldo ein. Damit hatte ich den biblischen Wochenruhetag ausreichend gewürdigt, zumal dieser im Islam auf Freitag, im Judentum auf Samstag, im Christentum auf Sonntag und heute von mir kraft eigener Autorität für Jakobspilger auf Montag festgelegt wurde.
     

Dienstag, den 08.06.:
     
    Für heute wählte ich einen Umweg über Castrillo de los Polvozares, einem vormals ausgestorbenem zwischenzeitlich jedoch restaurierten Vorzeigeort der Maragatería. Um die Morgenstunden wirkte diese Ortschaft natürlich wie ausgestorben. Mein Reiseführer belehrte mich darüber, dass die hügelige Landschaft Maragaterías karg und unfruchtbar ist.

    In der Bar von Santibañéz de Valdeiglesias versumpfte ich förmlich, zumal der Himmel mit einem kräftigen Donnerschlag ein Gewitter verhieß. Meinem Reiseführer entnahm ich, dass es im ca. 12 km entfernten Nachbarorte Rabanal del Camino ein Benediktinerkloster gebe, in dem man um 19.00 Uhr Vespergesängen und um 21.30 Uhr den gesungenen Kompleten der Mönche lauschen könne. Wie sehr hatte ich mir seit langem gewünscht, wieder einmal das Gefühl einer Pilgerschaft verspüren zu können. In Kastilien-León schien die Pilgerschaft und damit auch sein von mir permanent getragenes Emblem bedeutungslos zu sein.
    Sicherlich wegen meinen Spanischunkenntnissen sowie meiner alleinigen Wanderschaft wurde ich oft als Baske verbal angegriffen und sogar beschimpft. Verbunden war damit immer eine gewisse Befürchtung, ich könnte ein Terrorist sein. Mir ist ja der spanischinterne Sprachen- und Völkerstreit verständlich, wonach die Basken
    mit ihrer eigenen Sprache die kastilische Sprache, die man auslandsweit allgemein als das Spanische ansieht, vehement und kategorisch ablehnen und dieses auch innerhalb des spanischen Staatswesen unmissverständlich zum Ausdruck bringen; nur verstand ich nicht und werde dieses auch in Zukunft nicht verstehen können, dass der Wille des baskischen Volkes zur politischen Gewaltlosigkeit im allgegenwärtigen Kampfe der Völker um eine innerspanische Vorherrschaft in Kastilien-León nicht anerkannt und was für mich noch viel schwerwiegender war und ist, dass die uneingeschränkte Gewaltfreiheit nicht jedem Jakobspilger zugestanden wurde und wahrscheinlich künftig auch nicht zugestanden werden wird.
    Ich freute mich auf Rabanal del Camino, das laut meinem Reiseführer mir erneut ein lang entbehrtes Gefühl der in Navarra angetroffenen, glücklichen Symbiose aus Religiosität, Spiritualität und Kommerz bezogen auf die Tradition des Jakobsweges versprach. Als ich mich nach Rabanal del Camino aufmachte, fühlte ich mich unsäglich frei und zufrieden. Womöglich lag es mit daran, dass ich meine Zielsetzung, Santiago de Compostela zu Fuß und mit Gepäck zu erreichen, nicht länger unter der Vorgabe eines persönlich sich ändern Müssens stellte. Seit meiner Pilgerschaft hatte ich sämtliche Probleme auf meine Weise unkonventionell gelöst und auch bestanden. Weshalb wollte ich eigentlich um der gesellschaftlichen Anerkennung wegen oder wegen eines seichten, oberflächlichen Selbstwillens meiner Wesensart entgegenstehende, persönliche Charakterzüge wie z.B. das Rauchen ändern? Ich bin, wer ich bin! Das Erreichen des Zieles, in diesem Falle Santiago de Compostela, ist maßgebend und nicht dessen Begleiterscheinungen z.B. die Dauer und der Aufwand hierfür. Ich hatte das Gefühl, ich war nicht länger ein Suchender sondern nunmehr ein Findender. Und dieses war keine geistige

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