Jakobsweg
kein Bier, keine Heizung - nichts. Der alte Hospitalero ist ein Freak, dabei sehr hilfsbereit, hat alle unsere schweren Schuhe mit Zeitung ausgestopft und auf ein Regal zum Trocknen gestellt, nur wie soll das gehen? Hier im Haus gibt es ausser dem kleinen Gasofen keine einzige Heizquelle.
Das Tolle an dieser Reise auf meinem Weg ist allerdings die ganz selbstverständliche Bereitschaft ALLER, alles mit allen zu teilen. Essen, Trinken, Medizin, Kleidung, Decken, Erfahrungen und vieles mehr. Und zwar OHNE große Fragerei. Wer hat, der hat und gibt den anderen ab. Mir ist heute ganz warm ums Herz geworden, weil "meine" Truppe immer wieder auf mich gewartet hat und mich immer wieder einer gefragt hat, ob ich noch kann, ob alles in Ordnung ist. In Hontanas haben sie mir gleich einen Stuhl hergebracht, Brot geholt, Cafe zum Aufwärmen.
Selbst wenn ich weiter hätte laufen wollen, sie hätten mich nicht gelassen. Man gibt acht auf den Nächsten! Sehr auffallend ist das. Niemand rennt einfach so herum, die Menschen sind aufmerksam und hilfsbereit. Keiner hat Scheuklappen auf. Unterwegs gab es gar Schokolade von Marguerite, la madre del camino - "für die Moral, Bea". Ich meine, das sind Menschen, die ich vor zwei (!!) Tagen nicht einmal gekannt habe und nun sitzen wir gemeinsam um den Tisch und reden deutsch, englisch, spanisch, französisch und italienisch miteinander - ALLE - irgendwie, aber es geht!! Ich habe jedenfalls in der Herberge gewartet, bis alle hier waren und dann sind wir gemeinsam zum Essen gegangen. Brot, Wein und Käse, ein bisschen Jamon dazu - wie immer. Alle müde und durchgefroren. Und meine Freundin sitzt auf ihrem Luxusdampfer und schlürft köstliche Gin Tonics...
Gestern Abend drehte sich übrigens das Gespräch darum, wer von uns diesen Pilgerweg aus religiösen Gründen geht. Eigentlich ist das in dieser Runde niemand. Pepe wohl, denke ich, er geht jedes Jahr - und immer bis nach Finisterre. Er sagt, es macht ihn frei. Ist sowieso ein sehr spiritueller Mensch, weiß alles über Tarot, Runen, den Weg, über Wahr- und Weissagung, über Religionen. Wir sind uns einig, dass die Beweggründe für diese Reise hauptsächlich in der Vergangenheit eines jeden Einzelnen liegen; dass wir versuchen, hier Wege für die Zukunft zu finden, und/oder Lösungen für Beziehungsprobleme, berufliche Veränderungen. Manch einer will sich und anderen auch einfach "nur" beweisen, dass er in der Lage ist, die körperlichen Anstrengungen auszuhalten. Und dass es wirkliche Anstrengungen sind, daran kann es überhaupt gar keinen Zweifel geben. Ich war in meinem Leben noch nicht so fertig wie hier - und ich bin wahrhaftig keine Memme. Wir sind alle auf der Suche nach Antworten, gleich welcher Art. Ich auch, natürlich, wobei ich die meine vielleicht schon gefunden habe. Muss auf jeden Fall ein wenig geduldiger werden, die anderen kann man sowieso nicht ändern, ändern kann man nur sich selbst.
Dem Rat des alten Dorf-Arztes folgend bin ich liegen geblieben, d.h. erst einmal bin ich umgezogen von der Herberge ins örtliche Hotel Meson. Geht mir nicht gut. Ich will unbedingt weiter gehen und nicht aufhören müssen, weil ich zu viel gewollt habe. Das Hostal ist ganz putzig, kleines Zimmer in der 3. Etage, das Wasser ist nicht warm und die Heizung funktioniert auch nur so lala. Ist aber egal, ich bin jetzt endlich wieder für mich allein, so lustig wie das ist, wenn man in der Küche Camping macht. Ich bin schon sehr abhängig von ein bisschen Intimsphäre und vor allem froh, dass ich jetzt nicht mehr jedes Geräusch, dass andere in der Nacht oder am Morgen machen, mitbekomme.
"Neuer Geist äußert sich in neuem Denken. Und neues Denken führt zum neuen Leben! Wo immer ein Mensch sich für neue Gedanken offen hält, sich vom neuen Geist erfüllen lässt, beginnt der Aufstieg zu den Sternen". Das ist von Prentice Mulford und obwohl der schon 1891 gestorben ist, hat es etwas sehr Modernes.
Annabelle trifft sich mit Nisi - habe ihr gleich eine Karte geschrieben, die sie mitnehmen soll. 3 Jahre haben wir uns nicht gesehen. Wie traurig, aber ich denke ganz oft an sie. Es waren tolle Zeiten, die wir gemeinsam erlebt haben, traurige auch...
Gerade eben kommt in den Nachrichten, dass sie an der französischen Grenze wieder zwei Etarrista, Mitglieder der ETA also , festgenommen haben, die per Fahrrad nach Frankreich einreisen wollten und schwer bewaffnet waren. Auch das geht hier nie vorbei. Und die Gewalt, die herrscht, ist enorm.
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