Jamaica Lane - Heimliche Liebe
rechtfertigten und vor den anderen geheim hielten, machte mir allmählich zu schaffen. Vor allem, weil ich Nate kannte.
Er hatte nach wie vor das Bedürfnis, jeden Tag das »A« auf seiner Brust zu betrachten, und ich wusste nicht, ob sich daran je etwas ändern würde. Aber eins wurde immer deutlicher: Ich bewegte mich auf dünnem Eis. Es war lediglich eine Frage der Zeit, bis ich einbrach.
Und trotzdem besaß ich nicht genug Verstand, die Sache zu beenden.
An diesem Nachmittag spürte ich ein paarmal Nates Blicke auf mir. Es war ein unangenehmes Gefühl, als könnte er direkt in mich hineinsehen und wüsste, was ich dachte.
Soda Pop, wenn er wüsste, was du denkst, wäre er schon längst über alle Berge.
Als daher Dad anrief und mich fragte, ob ich zum Abendessen vorbeikommen wolle, sagte ich sofort zu und floh aus Jos und Cams Wohnung, ohne Nate richtig auf Wiedersehen zu sagen.
Dad hatte mariniertes Hühnchen mit Kartoffeln und Salat gemacht. Ich saß neben ihm und stocherte mit der Gabel im Essen, während er mich zu beruhigen versuchte, nachdem ich ihm von Joss’ seltsamem Verhalten berichtet hatte.
Ich schüttelte den Kopf. »Du hast ihr Gesicht nicht gesehen. Sie sah richtig … gequält aus.«
»Hat Braden sie denn gefunden?«
»Ja. Els hat mir gesimst. Er hat sie in der Nähe vom Schloss gefunden. Da, wo er sie vermutet hatte.«
»Na, dann warten wir doch erst einmal ab, bis wir von ihnen hören.«
Ich nickte, schob aber weiter lustlos mein Essen über den Teller. Meine Gedanken kreisten unablässig um Joss und Nate.
»Du hast abgenommen«, stellte Dad irgendwann fest. »Iss auf.«
Das war immerhin der Vorteil eines regen Sexlebens. Ich hatte tatsächlich ein paar Kilos verloren und war sogar muskulöser geworden. Nicht, dass ich meinem Dad das gesagt hätte. Schon beim bloßen Gedanken daran fingen meine Wangen an zu glühen. »Ich hatte viel zu tun und bin nicht richtig zum Essen gekommen.«
Dad zog fragend eine Braue hoch. »Mir ist aufgefallen, dass wir uns in den letzten Wochen kaum gesehen haben. Nimmt die Arbeit dich so sehr in Anspruch?«
»Ja, die Arbeit … und manchmal helfe ich Nate bei seinen Rezensionen.«
Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie mein Vater missbilligend die Lippen schürzte. »Es ist doch sein Job. Dafür wird er bezahlt.«
»Er ist mein Freund, Dad«, sagte ich warnend.
»Ich kann mir nicht helfen. Er ist achtundzwanzig Jahre alt und noch nicht erwachsen geworden. Er macht den lieben, langen Tag nichts anderes, als Fotos zu knipsen, Videospiele zu spielen und sich Filme anzuschauen, und er steigt mit allem ins Bett, was sich bewegt. Er ist kein Mann, Olivia, er ist ein Junge. Einer, mit dem man nur Ärger hat. Und es gefällt mir nicht, wie er dich beschnüffelt.«
»He, das reicht jetzt«, fauchte ich ihn an und ließ meine Gabel klirrend auf den Teller fallen.
Völlig perplex sah Dad in mein wütendes Gesicht.
»Du kennst ihn nicht«, fuhr ich fort, ehe er reagieren konnte. »Du weißt rein gar nichts über ihn.«
»Dann klär mich auf. Was hat dieser Junge an sich, dass du dich mit ihm abgibst?«
»Er ist ein guter Freund, Ein loyaler, fürsorglicher, mitfühlender Freund.«
»Wie? Warum? Was hat er für dich getan?«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust, lehnte mich zurück und sah durch das wunderschöne Erkerfenster mit Blick auf die Heriot Row. Ich konnte meinem Vater nicht in die Augen sehen, als ich antwortete: »Letztes Jahr an Thanksgiving habe ich dich angelogen. Ich habe gesagt, dass es mir gutgeht, aber das stimmte nicht.« Ich spürte, wie Dad ganz still wurde und sich in der Luft um ihn herum etwas zusammenbraute. »Nachdem wir uns verabschiedet hatten, bin ich nach Hause und hatte einen Zusammenbruch. Ich habe einen Truthahn gemacht, Kartoffeln, das ganze Programm, aber er ist mir angebrannt, und da habe ich die Nerven verloren und bin ausgerastet … so richtig ausgerastet. Zum Glück kam Nate zufällig vorbei. Er hat mich gefunden und ist die ganze Zeit bei mir geblieben, während ich ihm wegen Mom das Hemd vollgeheult habe.« Ich riskierte einen Blick auf meinen Dad. Sein Kiefer war angespannt, seine Augen glänzten vor Kummer. »Nate war für mich da, Dad. Und er hat es verstanden. Er hat mich verstanden. Er hat mit achtzehn die Liebe seines Lebens verloren.« Meine Stimme brach, als ich »Liebe seines Lebens« sagte. »Sie hatte Krebs.«
»Mein Gott.« Dad ließ den Kopf hängen und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht,
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