James Bond 02 - Leben und sterben lassen (German Edition)
Wohnzimmer auf und beobachtete, wie die Sonne über der Stadt aufging. In den Tiefen der Straßen war es noch dunkel, doch die Spitzen der großen Betonstalagmiten färbten sich im Licht der Morgendämmerung bereits rosa, und die Sonne erleuchtete die Fenster Stockwerk für Stockwerk, als ob sich eine Armee aus Hausmeistern in den Gebäuden befände und sich von oben nach unten durcharbeiten würde.
Der Polizeiarzt kam, blieb eine schmerzhafte Viertelstunde lang und ging dann wieder.
»Ein glatter Bruch«, hatte er gesagt. »Das wird ein paar Tage brauchen, um zu heilen. Wie ist das passiert?«
»Ich hab mir den Finger in einer Tür eingeklemmt«, antwortete Bond.
»Sie sollten sich von Türen fernhalten«, kommentierte der Arzt. »Die sind gefährlich. Sollten per Gesetz verboten werden. Sie hatten Glück, dass Sie sich nicht Ihren Hals eingeklemmt haben.«
Nachdem der Arzt gegangen war, packte Bond seine restlichen Sachen zusammen. Er fragte sich, ab wann er wohl das Frühstück bestellen konnte, als das Telefon klingelte.
Bond rechnete mit einer strengen Stimme von der Polizei oder dem FBI. Stattdessen verlangte eine leise und dringliche Frauenstimme nach Mr Bond.
»Wer ist da?«, fragte Bond, um Zeit zu schinden. Er kannte die Antwort bereits.
»Ich weiß, dass Sie es sind«, sagte die Stimme, und Bond konnte spüren, dass sie am anderen Ende der Leitung direkt ins Mundstück sprach. »Hier ist Solitaire.« Der Name war kaum mehr als ein Hauch ins Telefon.
Bond wartete und all seine Sinne konzentrierten sich auf die Situation am anderen Ende der Leitung. War sie allein? Sprach sie törichterweise über das Haustelefon mit ihm, sodass auch andere Personen mithören konnten, die vermutlich nur darauf gewartet hatten? Oder befand sie sich in einem Zimmer, in dem sie nur Mr Bigs Augen wachsam anstarrten? Lagen womöglich ein Bleistift und ein Block neben ihm, damit er die nächste Frage aufschreiben konnte, die sie stellen sollte?
»Hören Sie zu«, sagte die Stimme. »Ich habe nicht viel Zeit. Sie müssen mir vertrauen. Ich befinde mich in einer Drogerie, aber ich muss sofort wieder in mein Zimmer zurück. Bitte glauben Sie mir.«
Bond zog sein Taschentuch heraus und hielt es sich vor den Mund. »Wenn ich Mr Bond erreichen kann, was soll ich ihm dann mitteilen?«
»Oh, verdammt noch mal«, schimpfte das Mädchen mit einem Anflug von echter Hysterie in der Stimme. »Ich schwöre bei meiner Mutter, bei meinen ungeborenen Kindern, dass ich hier weg muss. Und Sie ebenfalls. Sie müssen mich mitnehmen. Ich werde Ihnen helfen. Ich kenne viele seiner Geheimnisse. Aber beeilen Sie sich. Ich riskiere mein Leben, indem ich mit Ihnen spreche.« Sie ließ ein verzweifeltes, panisches Schluchzen vernehmen. »Um Himmels willen, vertrauen Sie mir. Sie müssen es tun. Sie müssen!«
Bond sagte immer noch nichts. Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren.
»Hören Sie«, begann sie wieder, doch dieses Mal klang ihre Stimme gedämpfter, fast schon hoffnungslos. »Wenn Sie mich nicht mitnehmen, werde ich mich umbringen. Werden Sie das zulassen? Wollen Sie für meinen Tod verantwortlich sein?«
Wenn sie ihm etwas vormachte, dann war sie eine verdammt gute Schauspielerin. Es war nach wie vor ein unverzeihliches Risiko, aber Bond traf eine Entscheidung. Er sprach direkt mit leiser Stimme ins Telefon.
»Wenn Sie mich reinlegen wollen, Solitaire, werde ich Sie verfolgen und töten, selbst wenn es das Letzte ist, was ich tue. Haben Sie einen Stift und Papier?«
»Moment«, sagte das Mädchen aufgeregt. »Ja, ja.«
Wenn das eine Falle wäre, überlegte Bond, hätte sie diese Dinge bereits griffbereit gehabt.
»Seien Sie um Punkt zwanzig nach zehn an der Pennsylvania Station. Der Silver Phantom nach …«, er zögerte, »… nach Washington. Wagen 245, Abteil H. Sagen Sie, Sie wären Mrs Bryce. Der Schaffner hat die Fahrkarte, falls ich noch nicht da sein sollte. Gehen Sie direkt ins Abteil und warten Sie dort auf mich. Verstanden?«
»Ja«, sagte das Mädchen, »und danke, ich danke Ihnen.«
»Achten Sie darauf, dass Sie niemand sieht«, warnte Bond. »Tragen Sie einen Schleier oder etwas in der Art.«
»Natürlich«, bestätigte das Mädchen. »Ich verspreche es. Ich verspreche es wirklich. Ich muss gehen.« Sie legte auf.
Bond starrte auf den stummen Hörer und legte ihn dann auf die Gabel. »Tja«, sagte er laut. »Jetzt haben wir den Salat.«
Er stand auf und streckte sich. Er ging zum Fenster und schaute hinaus, sah
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