Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
genau?«
»Zum Nordrand des Kraters. Das ist die einzige Stelle, von wo aus man den gesamten See überblicken kann. Dort stehen sie dann und zeichnen Pläne.«
»Sind sie schon einmal zum See hinuntergegangen?«
»Nein. Dazu braucht ein gelernter Kletterer ja schon zwei Tage. Mit Seil und Haken.«
»Könnten Sie uns den Weg erklären, damit wir uns das Ganze mal ansehen können?«
Milo zeigte auf den Wagen.
Der Ranger schüttelte den Kopf.
»Da können Sie nur hin, wenn Sie gut zu Fuß sind. Vier Meilen vor dem Aussichtspunkt endet die Straße. Und auch die kann man nur mit Vierradantrieb befahren. Ich fahre Sie in meinem Jeep hin.«
Wir fuhren holpernd in südlicher Richtung über eine immer schlechter werdende Straße. Unsere Knochen wurden durchgerüttelt, durch die Fenster des Jeeps sah man nichts als gespenstische weiße Felsen, eintönig und ohne jede reizvolle Formation. Sarna belebte die Fahrt ein wenig, indem er bestimmte Stellen im Gestein beim Namen nannte - Fettwald, Honigbaum, Hasenpinsel -, sodass wir doch einige Formen in den Felsen wahrnahmen. Auch sahen wir einen Vogelschwarm auffliegen und sich auf einem Gebüsch niederlassen und eine Alligatoreidechse, die über die Äste einer weit gefächerten Palme glitt. Sarna pries die Schönheit einer alten Tanne, erzählte von der Grausamkeit und Härte der Winter in dieser verlassenen Gegend und erörterte ausführlich, wie widerstandskräftig Tiere sein müssten, um in dieser Kälte zu überleben.
Milo saß tief in seinen Sitz gesunken, nickte von Zeit zu Zeit, dachte aber an eine ganz andere Art von Grausamkeit.
Als die Straße keinen Teerbelag mehr hatte, begann der Jeep zu vibrieren wie eine Bogensehne. Der Weg wurde immer sandiger, und die Räder erzeugten eine riesige Staubwolke. Sarna schien Vergnügen daran zu finden, denn er verlangsamte die Fahrt keineswegs und fuhr die Gänge voll aus, anstatt zu bremsen. Milo und ich hielten uns an den Sitzen fest.
Die Fahrt ging hinauf und hinunter, dann wieder hinauf. Ich dachte an Milos Äußerung über Achterbahnen und schaute zu ihm hin. Er hielt die Augen geschlossen, kniff fest die Lippen zusammen und war grün im Gesicht.
Jetzt stieg der Weg wieder an. Sarna gab noch einmal kräftig Gas, sodass wir den Gipfel, ein schattiges Plateau, mit einem Hüpfer erreichten. Sarna stoppte, zog die Handbremse und sprang aus dem Wagen.
»Das letzte Stück müssen wir zu Fuß gehen.«
Wir stiegen ebenfalls aus. Vor uns lag ein kleiner Tannenwald. Die meisten Bäume waren tot, leere graue Hüllen mit schartigen, dürren Ästen, manche waren schon halb umgestürzt, andere stachen geisterhaft aus dem Boden. Die lebenden Bäume sahen kaum besser aus. Durch die einzelnen Stämme blendete uns helles grauweißes Licht, sodass wir unwillkürlich zu Boden blickten.
Sarna ging uns voran über einen kleinen Pfad durch die Bäume hindurch. Wir steckten bis zu den Fußangeln in staubigen, vertrockneten Blättern, traten über Unmengen toter Äste. Einmal blieb Milo mit dem Hosenbein hängen und musste sich erst wieder befreien. Er sah noch immer nicht gut aus, hatte jedoch wieder eine normale Gesichtsfarbe. Hinter den Bäumen lag eine Lichtung, und je näher wir dorthin gelangten, desto unerträglicher wurde das grauweiße Licht. Wir legten schützend die Hände vor die Augen, während wir weitergingen. Kurz vor einem sandbedeckten Abhang, aus dem hier und da Felsen herausstachen, blieb Sarna stehen. Überall war wieder das grelle weiße Licht.
»Man kann zu dieser Tageszeit fast nichts sehen«, sagte der Feldhüter. »Aber ich kenne eine Stelle, an der man wenigstens ein bisschen Schatten findet. Vorsichtig, hier ist es ziemlich steil.«
Er führte uns zu einer Stelle im Felsen, an der mehrere Blöcke von einer Sandsteinplatte überdeckt waren. Wir standen darunter und schauten auf den See.
Der lag wie ein Opal in der sonnenvergoldeten Landschaft. Die Wasseroberfläche glänzte wie ein Kristallspiegel, sie war so unbeweglich, dass sie künstlich schien. Sobald man den schützenden Schatten verließ, wurde er zu einer blendenden Lichtscheibe, was Milo erfuhr, als er sich zu weit nach vorne wagte.
»Jesus!«, rief er, bedeckte seine Augen und trat in den Schatten zurück. Sarna zog seinen Hut ins Gesicht und nickte.
»Bei Sonnenuntergang scheint das Licht so auf die Felsen, dass es eine höllische Lichtbrechung gibt. Ein weiterer Grund, weshalb kaum Leute hierher kommen.«
»Ein grauenhaft blendender Spiegel«,
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