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Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Titel: Jamey. Das Kind, das zuviel wußte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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sagte Milo und rieb sich die Augen.
    »Das haben die Spanier auch so gesehen. Sie nannten den See ›El Cañon Vidrio‹, was die Amerikaner als Bitter Canyon deuteten. Eine Schande, finden Sie nicht? Erstens ist er viel schöner, und zweitens ist der spanische Ausdruck ganz richtig.«
    »Vidrio«, sagte Milo.
    »Genau«, sagte Sarna, »der Gläserne Canyon.«

23
    Sarna ließ uns beim Café wieder aussteigen. Milo verbrachte die nächste halbe Stunde damit, etwas aus Asa Skaggs herauszuholen. In leichtem Plauderton versuchte er, zu erfahren, ob Skaggs sich an irgendjemanden erinnern konnte, der wie Jamey, Chancellor oder Gary ausgesehen hatte. Der Alte hörte auf, ein Backblech zu scheuern, kratzte sich am Kopf und sog an seinen zahnlosen Kiefern.
    »Yamagutsch - is’ das nich”n Name von’m Japs?«
    »Sie haben Recht.«
    »Waren viele Japse hier in der Gegend, im Ausländerlager bei Mojave.«
    »Während des Zweiten Weltkriegs?«
    »Kapiert. Später ließ man sie hinaus und steckte sie in die Army, sollen sich dort gut gemacht haben, zähe kleine Affen.«
    »Ich meinte, mehr in letzter Zeit, Mr. Skaggs.«
    »Hmm. Nein, ich habe seit damals keinen Japs mehr gesehen. Denke,’s gibt’ne Menge davon in der Stadt. In der Nähe von San Pedro Street. Nennen es jetzt Klein-Tokio. Kannte mal’ne Frau in der Stadt, Alma Bachmann, die fuhr immer dahin, um rohen Fisch zu essen. Sagte, sie fühle sich immer jünger danach, is’ doch Unsinn, oder?«
    »Vermutlich«, sagte Milo.
    »Sie erinnern sich bestimmt noch sehr gut an diese Zeit, Mr. Skaggs?«, fragte ich. »An den Krieg und die Zeit danach?«
    »Kapiert.«
    »Erinnern Sie sich auch noch an den Mann, der das Militärgelände kaufte?«
    »Mr. Black Jack Cadmus? Den kann man nicht vergessen. War’n richtiger Gentleman, gibt’s heute nicht mehr. Benahm sich wie’n richtiger König. Dolle Klamotten, vom Scheitel bis zur Sohle. Manchmal kam er hier hochgefahren, um den See anzugucken, und machte bei mir’ne Pause. Voll tanken und Scheiben waschen. Ich erinnere mich noch an den Wagen. Ein siebenundzwanziger Bugatti, Typ Royal einundvierzig, Acht-Zylinder-Reihenmotor, Doppelvergaser. Tiefschwarz und riesengroß. War in Italien restauriert worden und kam mit dem Schiff rüber. Der Schlitten war so gebaut, dass du die ganze Maschine ausbauen musstest, um an die Kerzen ranzukommen. Von den Unterhaltungskosten hätte ein halbes Dutzend Familien ein Jahr leben können, aber so war der Mann eben. Großzügige Lebensart, verlangte immer das Beste für sich. Wenn ich mal Ölwechsel machte oder den Reifendruck nachprüfte, kam er rein, setzte sich genau da hin, wo Sie sitzen. Verlangte’ne Tasse Kakao und’nen Schokoriegel - der Mann war scharf auf Schokolade. Sal sagte immer, er sähe aus wie ein Filmstar, mit seinem schwarzen Haar und den weißen Zähnen.«
    »Brachte er mal jemanden mit hoch?«
    »Nee, machte alles allein. Fuhr mit dem Bugatti, so weit es ging, und marschierte dann ein paar Stunden im Gelände herum. Ich weiß das, weil er manchmal voller Staub zurückkehrte, ich habe ihn deswegen auf den Arm genommen. ›Herumgeklettert und Pech gehabt, Colonel Cadmus?‹ Man konnte so mit ihm reden, er hatte Sinn für Humor. Er grinste dann immer zurück und sagte: ›Zurück zur Natur, Asa. Zurück zur Basis.‹«
    Der Alte winkte mich näher und senkte die Stimme.
    »Ich habe ihn nie darauf angesprochen, ich glaube aber, dass er da oben Gedichte gemacht hat.«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Er hatte immer so ein kleines Taschenbuch bei sich und’nen Füller mit Goldfeder. Als ich einmal die Autoscheiben putzte, lag es offen auf dem Sitz. Ich hab’nen schnellen Blick drauf geworfen, und es sah so aus, wie Gedichte geschrieben sind. Als er merkte, wie ich hinguckte, hat er es schnell zugemacht. Wollte wahrscheinlich nicht für’n Weichling gehalten werden.«
    Milo lächelte.
    »Wie sah das Buch denn aus?«, fragte ich.
    »Klein und aus Leder.«
    »Schwarzes Leder?«
    »Ich kann mich nur erinnern, dass es dunkel war. Hätte schwarz sein können.«
    »Haben Sie irgendwann mal gesehen, was drinstand?«
    »Nee, bin nie so nah rangekommen.«
    »Sie sind sich aber ziemlich sicher, dass es wie Gedichte aussah?«
    »Kapiert. Wofür sollte sich’n richtiger Mann sonst schämen?«
    Wir verließen das Café. Die Beamten der Spurensicherung waren schon weggefahren, und auf der Straße herrschte Friedhofsstille.
    »Was hältst du denn davon?«, fragte mich Milo. »Gedichte und

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