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Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Jamey. Das Kind, das zuviel wußte

Titel: Jamey. Das Kind, das zuviel wußte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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ging auf ihn zu.
    »Gehen Sie weg!«
    »Jamey!«
    »Lassen Sie mich in Ruhe!«
    »Lass uns darüber reden …«
    »Warum? Was soll das Ganze?«, schrie er.
    »Weil ich dich mag, weil ich dich in der Nähe haben möchte, weil du mir wichtig bist.«
    Er begann, heftig zu weinen, und sah aus, als bräche er gleich zusammen. Ich ging zu ihm hin, legte meinen Arm um seine Schulter und hielt ihn fest.
    »Sie sind für mich auch wichtig, Dr. D.« Er schluchzte in meine Jacke. Dann legte er seine dünnen Arme um mich und streichelte meinen Rücken. »Sie sind es wirklich, weil ich Sie so gern hab.«
    Ich stutzte. Ich wusste im selben Moment, dass es falsch war, aber es war ein Reflex, gegen den ich nichts tun konnte.
    Im selben Augenblick schrie Jamey mit verzerrtem Gesicht:
    »Da, sehen Sie! Ich bin nichts als ein kleiner Schwuler, ich bin schon immer einer gewesen, und jetzt bin ich auch auf Sie geil!«
    Ich hatte meinen Schreck überwunden, hatte die Selbstbeherrschung wiedererlangt und damit die für den Therapeuten notwendige Überlegenheit. So ging ich zu Jamey hin, aber er schreckte zurück.
    »Gehen Sie weg, Sie hinkender Idiot! Lassen Sie mich verdammt noch mal in Ruhe! Oder ich schreie um Hilfe!«
    »Komm, Jamey, lass uns weiterreden.«
    »Hilfe!«, schrie er, und sein Schrei hallte auf der leeren Fläche zwischen den Mauern wider.
    »Bitte …«
    Wieder schrie er.
    Ich stellte die Schuhe auf die Erde, legte die Socken darüber und ging.
    In den nächsten Wochen versuchte ich mehrfach, mit ihm zu sprechen, aber er wich mir aus. Immer wieder führte ich mir das Erlebte vor Augen, dachte nach, was ich hätte besser machen können, wurde mir bewusst, wie wenig mit Reden oder Schweigen zu erreichen war, und hoffte auf Wunder.
    Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr fürchtete ich, dass Jamey sich das Leben nehmen könnte. Nach einigem Zögern brach ich das Berufsgeheimnis und rief Jameys Onkel an. Obwohl ich wusste, dass es die richtige Entscheidung war, fiel es mir schwer. Nachdem ich mich durch eine ganze Kette von Angestellten telefoniert hatte, erreichte ich endlich Dwight Cadmus in seinem Büro in Beverly Hills. Ich brachte mein Anliegen vor, aber ich verriet Jamey kaum, denn ich sagte nichts über seine Homosexualität, sondern nur, dass ich mir Sorgen um seine Sicherheit mache.
    Mr. Cadmus hörte mir zu, ohne mich zu unterbrechen, dann antwortete er mit trockener und kontrollierter Stimme:
    »So, ja, ich verstehe, natürlich ist das ein gewisser Grund zur Sorge. Gibt es sonst noch etwas, Doktor?«
    »Ja, falls Sie Gewehre im Haus haben, nehmen Sie bitte die Munition heraus und verstecken Sie sie.«
    »Ich werde es sofort veranlassen.«
    »Bitte schließen Sie den Medizinschrank ab. Und achten Sie darauf, dass er nicht an Messer herankommt.«
    »Gut.«
    »Und auch Seile.«
    Es folgte ein gespanntes Schweigen.
    »Ist das alles, Doktor?«
    »Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass er unbedingt Hilfe braucht. Wenn Sie den Namen eines Therapeuten wissen wollen, kann ich Ihnen mehrere Kollegen nennen.«
    »Vielen Dank. Ich werde mit meiner Frau darüber sprechen und melde mich dann wieder bei Ihnen.«
    Ich gab ihm meine Nummer, und er bedankte sich bei mir, dass ich mich so gut um Jamey kümmerte.
    Ich hörte nie wieder von ihm.

4
    Ich legte die Akte weg und rief wieder in Canyon Oaks an. Mainwaring war noch nicht wieder in seinem Büro, aber seine Sekretärin sagte mir, er habe meine Nachricht erhalten. Die Stille in meinem Arbeitszimmer bedrückte mich. Um auf andere Gedanken zu kommen, stand ich auf und nahm das drahtlose Telefon zur Hand. Ich befestigte es an meinem Gürtel und ging nach draußen in den japanischen Garten. Die Zierkarpfen schwammen in gleichmäßigen Kreisen durch den Teich. Das Geräusch meiner Schritte lockte sie zum felsigen Teichrand, sie schluckten gierig und wühlten voll erregter Erwartung das Wasser auf.
    Ich warf eine Hand voll Körner ins Wasser. Die Fische zappelten und stießen sich gegenseitig an, um an ihr Futter zu kommen. Ihre Schuppen glänzten rot, golden, platinund orangefarben, ihre wild bewegten Körper bildeten einen grellen Kontrast zu den ruhigen Farben des Gartens. Ich kniete am Teich und fütterte den zahmsten von ihnen mit der Hand, was angenehm in der Handfläche kitzelte. Als die Fische satt waren, räumte ich das Futter weg, setzte mich im Schneidersitz auf das weiche Moos und lauschte den Geräuschen des Gartens, dem Sprudeln der Fontäne, dem

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