Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
Show war das Essen ausgezeichnet. Robin aß Linsensuppe, Tandoori-Hühnchen, Gurken in Joghurtsoße und einen Nachtisch aus Grießklößchen in bezuckerter Silberfolie. Ich aß ein besonders scharfes Ragout, in der Hoffnung, dass Robin die Selbstbestrafungsmechanismen nicht durchschaute.
Ich ließ sie die meiste Zeit über reden, nur ab und zu nickte und lächelte ich. Es ging mir immer noch wie während unseres Kusses im Auto, ich kam mir meilenweit entfernt vor. Ich schob meine Schuldgefühle beiseite und sagte mir, dass in der Liebe ein bisschen Betrug manchmal rücksichtsvoller ist als Ehrlichkeit. Ich weiß nicht, ob sie mich durchschaute, jedenfalls sagte sie nichts. Vielleicht spielte sie mir auch nur etwas vor.
Nach dem Essen fuhren wir zum Strand und dann auf den Pacific Coast Highway. Der Himmel war tiefblau und sternenlos, der Ozean eine wogende Wiese aus schwarzem Satin. Schweigend fuhren wir bis Malibu, der Rhythmus der sich brechenden Wellen begleitete Almeidas Musik.
Wir hielten bei Merinos, gleich am Kai. Drinnen war es ganz dunstig vor Rauch. In der Ecke auf einem Podest spielte eine Band - Trommeln, Bass, Altsaxofon und Gitarre - Coltrane. Wir bestellten Brandycocktails und lauschten der Musik.
Als die Band eine Pause einlegte, nahm Robin meine Hand und fragte mich, was ich denn hätte. Ich erzählte ihr von Milos Anruf. Sie hörte mit ernstem Gesicht zu.
»Der Junge ist in größten Schwierigkeiten«, sagte ich, »und wenn es mit den Lavendelmorden zu tun hat, ist alles noch viel schlimmer. Und ich weiß nicht mal, ob er Verdächtiger oder ein Opfer ist, das noch gerade entkam. Milo hat sich einfach geweigert, es mir zu sagen.«
»Das ist gar nicht seine Art«, sagte sie.
»Milo ist schon seit einiger Zeit nicht mehr Milo«, sagte ich. »Auf unsere Neujahrsparty kam er nicht, und er hat nicht mal angerufen, um abzusagen. In den letzten Wochen habe ich ihn im Büro und zu Hause immer wieder angerufen, ich habe ihm Dutzende von Nachrichten hinterlassen, aber er hat nie zurückgerufen. Zuerst dachte ich, dass er an einer Geheimsache dran ist, aber als sie das letzte Opfer des Lavendelmörders fanden, war er in allen Zeitungen. Er hält sich eindeutig fern von uns oder besser gesagt von mir.«
»Vielleicht hat er es nicht leicht mit diesem Fall. Für jemanden in seiner Position muss das fürchterlich anstrengend sein.«
»Aber wenn es ihm schlecht ginge, wäre es doch normal, dass er zu mir käme und davon erzählte.«
»Vielleicht glaubt er, dass jemand, der es nicht miterlebt hat, ihn gar nicht verstehen kann.«
Ich nahm einen Schluck Brandy und dachte darüber nach.
»Vielleicht hast du Recht, ich bin mir aber nicht sicher. Ich habe immer gedacht, dass es ihm nichts ausmacht, schwul zu sein. Als wir uns anfreundeten, erzählte er mir davon, sagte, er wolle es mir gleich sagen, und behauptete, es mache ihm nichts aus.«
»Was hätte er dir denn sonst sagen sollen?«
Ich hatte noch einen Zentimeter Brandy in meinem Glas, drehte es in meinen Fingern und beobachtete, wie sich die Flüssigkeit hin und her bewegte, wie ein kleines goldenes Meer im Sturm.
»Glaubst du, ich war nicht einfühlsam genug?«
»Nein, du hast nur einiges nicht bemerkt. Du hast mir einmal erklärt, dass das alle Leute tun, dass wir die anderen immer nur durch unsere eigene Brille sehen, weil wir es anders gar nicht aushalten könnten.«
Ich nickte.
»Du musst zugeben, Alex, es ist ungewöhnlich, dass ein Homosexueller und einer wie du so eng befreundet sind. Milo behält sicher eine Menge seiner Probleme für sich. Genau wie du. Ihr habt beide vieles verdrängt, um einander nahe zu kommen, stimmt’s?«
»Was zum Beispiel?«
»Hast du dir je Gedanken darüber gemacht, was er und Rick im Bett tun?«
Ich schwieg, denn Robin hatte Recht. Milo und ich redeten über alles, über Sex nie. Sicher kamen wir dem Thema manchmal sehr nahe, aber wir berührten es nie. Tabuisierung in Reinkultur.
»Das Seltsame ist«, sagte ich, »dass ich mich heute Nachmittag, als ich meine alten Notizen über Jamey las, gefragt habe, ob ich irgendetwas hätte anders machen können. Ich überlegte, ob ich ihn vielleicht hätte mit Milo zusammenbringen sollen. Der Junge ist auch homosexuell, jedenfalls glaubte er es damals, und ich habe mich gefragt, ob es ihm geholfen hätte, jemandem seinesgleichen zu begegnen, der ihn besser verstanden hätte. Aber das ist wahrscheinlich ziemlich naiv.«
Meine Kehle war trocken, der letzte Schluck
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