Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
und warf mir einen kurzen Blick zu. Dann lächelte er. Ich weiß auch nicht, warum, aber in diesem Augenblick fiel mir auf, wie sehr ihm Jamey ähnlich war.
»Hallo, Mr. Cadmus.«
»Dwight, setz dich hin«, sagte Souza und legte ihm wieder die Hand auf die Schulter. »Versuche, ein wenig zu entspannen.«
Cadmus ließ sich wie ein Stein in seinen Sessel fallen.
Souza zeigte auf einen Stuhl: »Nehmen Sie doch Platz, Doktor.«
Er selbst ließ sich hinter seinem Schreibtisch nieder, stützte die Ellbogen auf die lederne Schreibunterlage.
»Lassen Sie mich zunächst berichten, was geschehen ist, Doktor. Wenn ich auf bekanntes Terrain gerate, sagen Sie es nur. Gestern ist Jamey in den frühen Morgenstunden aus seinem Krankenzimmer ausgebrochen. Kurze Zeit später hat er Sie angerufen, aus einem leeren Sitzungssaal. Wissen Sie noch, um wie viel Uhr das war?«
»Etwa um Viertel nach drei.«
Er nickte. »Das stimmt mit den Aussagen des Krankenhauspersonals überein. Aber es sagt noch nichts darüber aus, wo Jamey die übrige Zeit verbrachte. Es war nicht möglich, nachzuweisen, wo er sich sonst aufgehalten hat. Dwight bekam einen Anruf in Mexiko, und er nahm mit seiner Familie das nächste Flugzeug hierher. Sobald sie gelandet waren, riefen sie mich an. Wir trafen uns daraufhin mit Dr. Mainwaring, um gemeinsam zu überlegen, was zu tun sei. Wir stellten eine Liste all der Orte zusammen, an denen sich Jamey öfter aufhielt. Dann riefen wir bei den jeweiligen Leuten an.«
»Wo haben Sie angerufen?«
»Bei Bekannten von Jamey.«
»Die Liste war allerdings nicht sehr lang«, sagte Cadmus flüsternd, »er wollte nicht viel mit anderen Leuten zu tun haben.«
Es folgte ein unangenehmes Schweigen. Der Anwalt schaute Cadmus an, der seine Fingerspitzen betrachtete.
»Wir haben enorm viel Zeit für die seelischen Probleme des Jungen aufgewandt«, erklärte Souza, »eine kaum zu lösende Aufgabe.«
Ich nickte teilnahmsvoll.
»Eine der ersten Personen, die wir zu erreichen suchten, war Ivar Digby Chancellor in Beverly Hills. Jamey war mit ihm, wie soll ich sagen, befreundet, aber seit einiger Zeit sahen sie sich nicht mehr.«
»Ein abwegiger Gedanke«, murmelte Cadmus.
Souza sah ihn scharf an und fuhr fort: »Obwohl die Beziehung zu Ende war, konnte es doch sein, dass Jamey zu Chancellors Haus gegangen war. Es ging jedoch niemand ans Telefon. Auch die anderen Anrufe waren erfolglos. Schließlich benachrichtigten wir die Polizei. Sie nahmen unsere Liste mit und besuchten sämtliche angegebenen Adressen. Wenig später, etwa um acht Uhr morgens, fanden sie den Jungen in Chancellors Haus.«
Souza schwieg einen Augenblick und sah Cadmus an, bevor er fortfuhr. Er erwartete wohl, dass dieser ihn erneut unterbrechen würde. Cadmus saß jedoch ruhig da, so als hätte er uns beide vergessen.
»Die Polizei fand dort eine blutige Szenerie vor, Doktor. Chancellor war tot, erdrosselt, außerdem wies sein Körper verschiedene Messerstiche auf. Und es war dort noch eine zweite Leiche, ebenfalls mit Messerstichen, ein sechzehnjähriger Strichjunge, der Rostnagel genannt wurde. Sein richtiger Name war Richard Ford. Nach dem Polizeibericht war die Leiche Chancellors aufgehängt worden, Ford lag ausgestreckt am Boden. Jamey saß im Schneidersitz zwischen den beiden Toten, umklammerte ein Messer mit einer langen Schneide. Er schien in Trance, stotterte unzusammenhängendes Zeug, irgendetwas über platzende Adern und Zombies. Und als er die Polizeibeamten sah, wurde er wild. Sie konnten ihn nur zu mehreren bändigen, und bevor sie ihn abführten, legten sie ihm Handschellen an.«
Ich musste an Jameys Anruf denken und an die schrecklichen Bilder, in denen er gesprochen hatte.
Souza fuhr fort: »Er kam ins Kreisgefängnis, in Einzelhaft, und dann riefen sie mich an. Ich unternahm sofort alles, was ein Anwalt tun kann, um die Ermittlungen der Polizei zu erschweren. Ich beantragte mangelnde Vernehmungsfähigkeit, beanstandete die fehlende medizinische Betreuung im Knast, verlangte Freilassung auf Kaution oder wenigstens Überführung in die Psychiatrie. Vernehmungsfähig war er ohnehin nicht, dazu redete er viel zu unzusammenhängend und wirr. Was jedoch das Medizinische betraf, so erwirkte ich, dass Dr. Mainwaring die Erlaubnis bekam, ihn zu besuchen. Der Freilassung auf Kaution wurde nicht zugestimmt wegen Jameys Flucht aus der Klinik und der Schwere der Taten, deren er verdächtigt wird. Er ist immer noch im Gefängnis, liegt wie ein Embryo
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